Lektor und Literaturagent Sebastian Richter über die Unterschiede zwischen Drehbuch und Prosa, Fallstricke beim szenischen Schreiben und über die unendlichen Möglichkeiten des Romans.
Sie arbeiten im „Verlag der Autoren“, der sich von anderen Verlagen gleich in mehrfacher Hinsicht unterscheidet. Was ist das Besondere daran?
Der Verlag der Autoren ist ein Bühnen- und Medienverlag, zu dem auch eine Drehbuch- und Literaturagentur gehört. Die Besonderheit ist, dass die Autorinnen und Autoren hier Gesellschafterinnen und Gesellschafter werden können und so die Verlagsgeschäfte mitbestimmen. Die Gewinne fließen in eine Stiftung, die wiederum Projekte in den darstellenden Künsten fördert.
In der Textmanufaktur geben Sie ein Seminar zur richtigen Erzählstimme im Romanprojekt. Szenisches Schreiben, wie wir es aus dem Drehbuch kennen, hat auch den zeitgenössischen Roman inspiriert. Kann man das Handwerkszeug des Drehbuchschreibens auch für den Roman nutzen?
Es gibt einen großen Unterschied zwischen Drehbuch und Prosa. Selbst wenn man in der Prosa szenisch schreibt, ist das etwas vollkommen anderes als für die Bühne oder den Film zu schreiben. Das fällt ganz besonders bei Übersetzungen vom einen in das andere Medium auf – also wenn zum Beispiel ein Roman fürs Kino adaptiert oder ein Drehbuch zur Grundlage eines Romans wird.
Was entstehen dann für Schwierigkeiten?
Ein wichtiger Punkt ist die Dramaturgie. Im Drehbuch zum Film muss alles in 90 Minuten passieren. Das heißt, alles kondensiert in einigen wenigen Szenen, in denen sehr viel auf einmal klar gemacht werden muss. In der Prosa ist das anders. Selbst wer szenisch erzählt, hat eine viel längere Strecke, um Figuren und Beziehungen zu entwickeln. Deshalb funktionieren manche Szenen Film sehr gut, in der Prosa aber überhaupt nicht, weil sie zum Beispiel zu sehr mit Bedeutung aufgeladen sind oder zu viel auf einmal erzählen. Ähnliches gilt für Dialoge: Ein guter Filmdialog muss nicht unbedingt im Roman funktionieren. In der Prosa kann und muss man sich die Zeit nehmen alles mit Sprache zu inszenieren. Im Drehbuch dagegen ist der Text die Grundlage für eine Inszenierung, an der viele weitere Gewerke beteiligt sind.
Show don’t tell – das ist eine Grundregel, die wohl jeder kennt, der schonmal versucht hat, einen Roman oder eine Kurzgeschichte zu schreiben. Als Autorin soll ich zeigen, was die Figuren tun oder empfinden, statt abstrakt davon zu erzählen. Szenisches Erzählen erfüllt genau diesen Anspruch, oder?
Ja, das stimmt. Aber man darf szenisches Erzählen nicht mit filmischem Erzählen verwechseln. Das Drehbuch muss veräußerlichen, weil der Film abbildet. Die Prosa kann viel mehr. Sie gestaltet eine Situation oder eine Atmosphäre mit Sprache. Mithilfe der Sprache taucht man in eine Figur ein und kann Gefühle erlebbar machen, ohne sie direkt zu benennen. Das ist im Drehbuch so nicht möglich, da skizziert man eine Situation und hat ansonsten vor allem Dialoge, über die man auch Figurenbeziehungen herstellen muss. Die Prosa bietet viel mehr Möglichkeiten.
Wie kann ich in Prosatexten lebendig erzählen – über das szenische Erzählen hinaus?
Zum Beispiel über die passende Nähe oder Distanz, die ich zu meiner Geschichte und meinen Figuren einnehme. Wenn ich fürs Drehbuch schreibe, stehe ich ganz klar draußen. Ich erzähle auktorial und schaue auf die Szene und was die Figuren dort machen. Die Prosa bietet wesentlich mehr Perspektiven. Ich kann eine auktoriale Erzählhaltung einnehmen oder – das andere Extrem – Rollen-Prosa schreiben und in der Ich-Perspektive so erzählen, als ob alles in diesem Moment genauso passiert. Dazwischen ist eigentlich alles möglich.
Was würden Sie Autorinnen und Autoren empfehlen, die nach ihrer Erzählstimme suchen?
Ich glaube es ist sinnvoll, verschiedene Erzählweisen auszuprobieren, vielleicht auch für dieselbe Szene. Das gilt nicht nur für die Erzählperspektive – also auktorial, personal oder Ich-Perspektive – sondern zum Beispiel auch für die Zeit und verschiedene Erzählformen. Ich kann die Szene also in der Vergangenheit und in der Gegenwart durchspielen und beispielsweise mit dem dialogischen Erzählen experimentieren. So finde ich heraus, auf welche Art sich eine Geschichte am besten erzählen lässt.
Dr. Sebastian Richter ist nach verschiedenen Stationen am Theater seit 2008 im Verlag der Autoren, einem der großen deutschen Bühnen- und Medienverlage beschäftigt. Dort arbeitet er als Lektor und Agent, er betreut Drehbuchautorinnen und -autoren und vermittelt seit 2011 zudem Romanmanuskripte an Verlage.