„Dann hat doch meine Geschichte die Oberhand gewonnen.“

Foto: Josephine Weinhold

Die Autorin Petra Hucke besuchte Seminare der Textmanufaktur sowie die Tagung narrativa. Nun erscheint ihr aktueller Roman beim Piper Verlag. Im Interview spricht sie über Genreliteratur, Fakten und Fiktion im historischen Roman und wie die Arbeit als Lektorin ihr Schreiben beeinflusst.

Petra Hucke, aktuell ist Ihre Romanbiografie „Die Architektin von New York“ bei Piper erschienen. Sie haben vorher schon eine Romanbiographie und einen Thriller im Selbstverlag veröffentlicht. Inwiefern hat Ihnen das auf dem Weg in einen großen Publikumsverlag geholfen?
Ich muss gestehen, dass es nicht besonders viel geholfen hat. Nur insofern, als ich wusste: Ich kann das. Ich kann Romane schreiben, ich kann mit einem Lektorat umgehen, ich kann etwas zu Ende bringen und traue mich, es auch der Welt zu zeigen. Okay, wenn ich so darüber nachdenke, merke ich: Vielleicht ist das doch eine ganze Menge.

Romanbiographien, insbesondere von Frauen, sind derzeit gefragt. Hat das für Sie bei der Wahl des Genres eine Rolle gespielt?
Ja, schon. Eine Veröffentlichung bei einem Publikumsverlag im Genre gelingt halt nur, wenn man gewissen Markttrends folgt. Aber ich musste mich nicht in die Richtung quälen. Ich habe ja, wie Sie schon erwähnten, bereits die Romanbiografie über Ida Brun veröffentlicht. Auch wenn die es nicht in einen Publikumsverlag geschafft hat – über Frauen zu schreiben, die nie ihre eigene Stimme erheben konnten, reizt mich schon seit Längerem.

Die Protagonistin Ihres neuen Romans, Emily Warren Roebling, hat in den 1880er Jahren die Bauarbeiten an der Brooklyn Bridge geleitet, als ihr Mann schwer erkrankte. Wie sind Sie auf ihre Geschichte aufmerksam geworden?
Ich hatte schon von ihr erfahren, als ich vor vielen Jahren einmal in New York war. Als meine Agentin mich nun fragte, ob mir eine passende Protagonistin für die Piper-Reihe „Bedeutende Frauen, die die Welt verändern“ einfiel, kam mir Emily Warren Roebling wieder in den Sinn. Es ist doch auch eine verrückte Geschichte, dass eine Frau zu dieser Zeit eine so große Baustelle leitete. Und diese ikonische Brücke, die im Grunde immer noch so aussieht wie bei ihrer Eröffnung 1883, können wir heute noch besuchen und überqueren.

Wie und wo haben Sie recherchiert?
Die Pandemie hat es mir leider unmöglich gemacht, nach New York zu reisen. Ich hätte mir gern ein Archiv angesehen, in dem Briefe von Emily an ihren Sohn liegen sollen, sowie Alben, die sie über den Brückenbau zusammengestellt hat. Aber dieses Mal ist es leider bei einer Buch- und Internetrecherche geblieben. Die Bayerische Staatsbibliothek hier in München ist meine Anlaufstelle, und mein Fahrradkorb hat unter der Last der dicken Wälzer so einige Male geächzt. Zum Glück ist der Bau der Brücke ziemlich gut dokumentiert – anders übrigens als Emilys Leben. Dem Autor eines Standardwerks war ich so dankbar, dass ich eine Nebenfigur nach ihm benannt habe. Die Fakten konnte ich dann als Grundgerüst für meine eigene „Roman-Baustelle“ benutzen, um Emilys Geschichte drum herum zu schreiben.

Ist es Ihnen schwergefallen, zu entscheiden, inwieweit Sie sich streng an die historischen Fakten halten und wo Sie sich davon lösen?
Das hat sich im Laufe des Schreibens verändert. Anfangs dachte ich, ich möchte alle Fakten, Orte, Jahreszahlen unbedingt beibehalten, damit alles wirklich genauso hätte passieren können. Aber dann hat doch meine Geschichte die Oberhand gewonnen, und es fiel mir immer leichter, Figuren zu streichen oder umzubenennen, Ereignisse zusammenzufassen oder zu verschieben. Trotzdem glaube ich, dass ich der Zeit und meiner Protagonistin ziemlich treu geblieben bin. Am liebsten hätte ich noch ganz viel über New York City im 19. Jahrhundert geschrieben, aber dann wären wir irgendwo bei 800 Seiten gelandet …

Sie schreiben nicht nur Bücher, Sie übersetzen und lektorieren auch. Wie prägt diese Arbeit Ihr eigenes Schreiben?
Natürlich sind diese Tätigkeiten alle verwandt, aber beim Übersetzen und Lektorieren habe ich ja immer eine Vorlage. Beim Lektorieren geht es nie um meine Arbeit, meinen Stil, und beim Übersetzen ist je nach Textsorte mal mehr, mal weniger eigene Kreativität gefragt. Nur beim eigenen Schreiben kann ich dann wirklich machen, was ich will.

Gibt es auch Momente, in denen Ihr Wissen als Lektorin und Übersetzerin Sie beim Schreiben blockiert?
Ich kann nicht „einfach erst mal etwas hinschreiben“. Aber ich sehe das nicht als Nachteil.  Ich denke lieber lange über eine Formulierung nach als später mehrfach zu überarbeiten. Meine Texte sind nach der ersten Fassung natürlich auch nicht abgabefertig, aber andere überarbeiten vermutlich viel mehr.

Haben Sie einen Tipp für Debütautorinnen und -autoren, die veröffentlichen wollen? Wie kommen die an einen Verlag? 
Wer sich eine Veröffentlichung in einem großen Verlag wünscht, sollte es wohl am besten über eine Literaturagentur versuchen. Der Selbstverlag ist meiner Meinung nach für alle eine gute Alternative, die sich gern selbst vermarkten und dafür Zeit und Geld haben. Und man sollte auch ganz klar in einem Genre schreiben, das im Selfpublishing gut funktioniert. Ich wünsche jedenfalls allen, unabhängig vom Veröffentlichungsweg, viel Erfolg!

Petra Hucke wurde 1978 in Düsseldorf geboren. Sie schreibt Romane und Romanbiografien, übersetzt aus dem Englischen und lektoriert Belletristik und Sachbücher. Im Selbstverlag hat sie 2019 „Die Moorschwestern“ und „Solch ein zephyrleichtes Leben“ veröffentlicht. Ihrem Interesse für inspirierende Biografien geht sie auch im Podcast „Frauenleben“ nach: Alle vierzehn Tage erscheint ein neues Porträt zum Anhören. Petra Hucke lebt in München.