„Die Kunstfreiheit wird hoch gewichtet.“

Foto: Sylvie Gagelmann, Goodfeelography

Darf ich als Autorin über reale Menschen schreiben? Welche Grenzen gibt es? Mit solchen Fragen beschäftigt sich die Rechtsanwältin Cordula Proescher. Die Hamburgerin berät Autoren und Verlage zu Themen des Urheber- und Medienrechts. Im Interview erzählt sie vom Grad zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht und wie Autoren dort das Gleichgewicht halten.

Cordula Proescher, wenn ich einen Roman schreibe, darf ich dann Menschen aus meinem Umfeld als Figuren auftreten lassen?
Na klar, als Romanautor darf man das. Selbst wenn reale Vorbilder erkennbar sind, spricht der erste Anschein für die Fiktionalität der Figur. Wenn allerdings Details aus der Privat- und Intimsphäre beschrieben werden, ist es gegebenenfalls notwendig, die Figur noch stärker vom realen Vorbild zu lösen, sie also zu verfremden. Mit Privatsphäre ist das häusliche Umfeld gemeint, also das, was im sozialen Miteinander verborgen bleibt. Die Intimsphäre umfasst vor allem die Sexualität, Krankheiten, die nicht nach außen hin sichtbar sind und andere sehr private Dinge, beispielsweise Tagebuchaufzeichnungen.  

„Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.“ Solche Disclaimer stehen vorn in vielen Romanen. Kann ich mich damit rechtlich absichern?
Ein Disclaimer reicht nicht aus, maßgeblich ist der Inhalt des Buches. Ein Gericht wird immer schauen, ob es sich tatsächlich um ein fiktionales Werk handelt oder doch eher um ein Sachbuch im Romangewand. Für einen Roman gilt die Kunstfreiheit, die dem Autor oder der Autorin weitrechende Rechte einräumt. Beim Sachbuch dagegen greift in der Regel die Meinungs- und Pressefreiheit. Der Disclaimer in einem Roman ist daher eher ein Signal an die Kollegen von der Presse und an die Leser: Auch die Figuren mit realen Vorbildern sind in fiktionale Zusammenhänge eingewoben.

Fallen Autobiographien und Memoirs, erzählende Sachbücher, also nicht in den Bereich der Kunstfreiheit?
Das ist auch für uns Juristen sehr schwer zu trennen. Die Grenzen verlaufen da nicht eindeutig. In manchen Fällen haben auch die Verlage Schwierigkeiten zu entscheiden, ob es sich um ein Memoir, also ein erzählendes Sachbuch, oder um einen Roman handelt. Häufig lassen sie die Genrebezeichnung dann weg. Es gibt sehr literarisch geschriebene Memoirs, daher ist es immer wichtig, den Einzelfall anzuschauen. Insgesamt gelten beim Memoir oder der Autobiographie aber eher die Grundsätze wie beim Sachbuch. Hier greift meist nicht die Kunstfreiheit, sondern die Meinungs- und Pressefreiheit. Auch die gewährt bestimmte Freiräume, aber es wird immer geschaut, ob eine Äußerung als Meinung oder als Tatsache einzuordnen ist. Wenn es sich um eine Tatsache handelt, muss diese belegbar sein. Im Zweifelsfall würde ich dem Autor oder der Autorin immer raten, auf Nummer sicher zu gehen und ihr Memoir oder ihre Autobiographie rechtlich als Sachbuch einzuordnen. Um Klagen zu vermeiden, kann es dann ratsam sein, die Person zu verfremden, über die man schreibt. Man kann zum Beispiel die Biographie und das Äußere stark verändern oder der Person bestimmte Ticks andichten.

Autofiktionale Romane nehmen für sich in Anspruch, genau das zu sein: Fiktion. Trotzdem sind die biographischen Parallelen meist augenfällig, reale Personen oft eindeutig erkennbar. Ist das von der Kunstfreiheit gedeckt?
Wenn ein Autor, eine Autorin selbst den Anspruch erhebt, die Wirklichkeit künstlerisch gestaltet zu haben, dann spielt das auch bei der rechtlichen Einordnung eine Rolle. Das Bundesverfassungsgericht erlaubt ausdrücklich, in Romanen real existierende Personen als Vorbilder zu verwenden – selbst wenn diese erkennbar sind. Am Ende geht es immer um eine Abwägung im Einzelfall: Überwiegt die Kunstfreiheit oder das Persönlichkeitsrecht der realen Person, die einer Figur erkennbar Modell gestanden hat?

Wie schwer wiegen die Persönlichkeitsrechte im Roman dann überhaupt?  
Mit dieser Frage hatte sich das Bundesverfassungsgericht 2007 zu befassen. Damals war der Roman Esra von Maxim Biller auf dem Prüfstand. Und tatsächlich: Obwohl das Gericht den sehr deutlich autobiografischen Text als Roman und den Schutzbereich der Kunstfreiheit als eröffnet ansah, hat es ihn aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes verboten. Meiner Meinung nach würde eine Gerichtsentscheidung heute anders ausfallen. Ich nehme eine Tendenz in der Entscheidungspraxis der Gerichte wahr, die in solchen Fällen eher zugunsten der Kunstfreiheit ausschlägt.

Cordula Proescher hat fast neun Jahre in einem großen Publikumsverlag als Inhouse-Juristin gearbeitet, bevor sie sich als freie Rechtsanwältin in Hamburg niederließ. Sie berät Verlage sowie Autorinnen und Autoren in allen Fragen des Urheber- und Medienrechts und schreibt gerade selbst an ihrem Debütroman. www.faktum-legal.de