Die Schriftstellerin Julia Schoch verrät, wie sich Kompliziertes mit einfacher Sprache ausdrücken lässt, was Autofiktion für sie bedeutet und wie ein halbes Leben auf nicht einmal 200 Seiten passt.
„Im Grunde ist es ganz einfach: Ich verlasse dich.“ So beginnt Ihr neues Buch „Das Liebespaar des Jahrhunderts“. Ist das eher ein Roman über die Liebe oder über ihr Verschwinden?
Sicherlich über beides. So wenig wie man sagen kann, woher die Liebe kommt, kann man auch sagen, wohin die Liebe geht, wenn sie nicht mehr da ist. Mir ging es vor allem darum, Dauer darzustellen, das Verfließen der Zeit. Ich wollte das nicht auf 700 Seiten ausbreiten, sondern einen langen Zeitraum ganz knapp erzählen.
Nicht nur Ihr Roman hat vergleichsweise wenig Seiten. Auch Ihr Stil ist knapp und präzise. Kann man über so große Themen wie die Liebe am besten sehr reduziert, mit einer gewissen Lakonie schreiben?
Das hängt mit der Präzision zusammen, die ich anstrebe. Ich stelle mir immer die Frage: Kann ich das präzise und gleichzeitig ganz einfach ausdrücken? Der Urtext für diesen Roman ist eine Erzählung in einfacher Sprache, die ich für eine Anthologie des Frankfurter Literaturhauses geschrieben habe. Da war für mich die Frage: Was heißt einfach? Ein Satz kann grammatikalisch einfach, in seiner Bedeutung aber sehr komplex sein. Der Titel der Erzählung „Ich verlasse dich“ ist grammatikalisch simpel. Aber die Konsequenzen aus diesem Satz sind mitunter sehr kompliziert. Die Spannung zwischen einer sehr einfachen Sprache und einem komplizierten Prozess, der dahintersteht, hat den Roman mit angeschoben.
Wenn Sie den Roman mit seinem Urtext vergleichen – wie hat sich die Sprache verändert?
Für die Anthologie gab es ein Regelwerk. Wir mussten uns nicht streng daran halten, aber es war interessant zu sehen, wie es sich auf den Text auswirkt; was zum Beispiel passiert, wenn ich weniger Nebensätze verwende, mehr Verben als Substantive, keine großen Zeitsprünge mache und so weiter. Beim Schreiben meines Romans spielten diese Regeln keine Rolle mehr. Aber es schwingt etwas davon mit, zum Beispiel, wenn ich handelnde Personen im nachfolgenden Satz nicht durch die Pronomen ersetze, sondern dasselbe Wort noch mal aufgreife. Das erzeugt einen schönen Effekt, der meinem Roman sehr zuträglich war. Die Wiederholung hat etwas von Vergeblichkeit und Trauer, fast etwas Litaneihaftes. Es ist interessant, wie der Sound des Buches vom Regelwerk der einfachen Sprache befeuert wurde.
Ihr Vortrag auf der narrativa trägt den Titel: „Über das eigene Leben schreiben – Betrachtung eines Scherbenhaufens.“ Geht es beim autofiktionalen Erzählen immer um Verluste?
Nicht zwingend, aber oft ist das der Anstoß. Autofiktionales Schreiben hat viel mit Selbstbefragung und Selbsterkenntnis zu tun. Oft wird etwas Existentielles verhandelt, und dabei geht es vielleicht nicht immer um Verlust, aber doch um Veränderung. Der schreibende Mensch beobachtet sich selbst und denkt auch über sein Schreiben nach.
Autofiktionales Erzählen ist also ein Schreiben über das Schreiben?
Ja, genau. Autobiografien, also das Schreiben über sich selbst, gibt es praktisch schon immer. Und jeder Autor fiktionalisiert selbstverständlich das eigene Leben, auch wenn er Krimis oder Science-Fiction schreibt; auch solche Bücher enthalten autobiographische Erfahrungen. Herauszustellen und zu betonen, dass es sich um eine Fiktion handelt, ist das Besondere am autofiktionalen Erzählen. Für mich muss der schreibende Mensch im Text anwesend sein, man muss ihn mitlesen können. Da gibt es dann auch keinen Unterschied mehr zwischen Autor und Erzähler.
Ihr neuer Roman ist Teil der Trilogie „Biographie einer Frau“, die sie mit „Das Vorkommnis“ begonnen haben. Wie sind die Bücher miteinander verbunden?
Das hat wiederum etwas mit dem Scherbenhaufen zu tun. Es sind dieselben Scherben, aber ich lege immer wieder andere Bilder aus diesen Elementen. Die Ich-Erzählerin ist in allen drei Romanen Dieselbe, aber sie schaut jeweils anders auf ihr Leben, von einem anderen Zeitpunkt aus oder auf eine andere Art. Wenn ich meine Bücher rückblickend betrachte, würde ich sagen: Zeit und Erinnerung sind eigentlich meine zentralen Themen.
Julia Schoch auf der Autorentagung narrativa: „Über das eigene Leben schreiben – Betrachtung eines Scherbenhaufens“, Samstag, 18. März, 18 Uhr.
Julia Schoch, 1974 in Bad Saarow geboren, wuchs am Oderhaff auf. Seit 1986 wohnt sie in Potsdam, wo sie in den neunziger Jahren als Filmvorführerin in einem Kino arbeitete. Sie lebte in Paris, Bukarest und Kaliningrad. 2004 veröffentlichte sie den Roman „Verabredungen mit Mattok“ und begann regelmäßig Literatur aus dem Französischen zu übersetzen. Ihr Roman „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“ war 2009 für den Belletristik-Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Im Februar 2023 erschien „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ bei dtv. Nach „Das Vorkommnis“ (2022) ist es der zweite Roman ihrer Trilogie „Biographie einer Frau“.