„Kreativität geht nicht verloren.“

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Die Autorin Krystyna Kuhn über Schreibblockaden, warum sie entstehen und wie man sie überwindet. 

Frau Kuhn, Sie sind erfolgreiche Thriller-Autorin und schreiben außerdem an Ihrer literaturwissenschaftlichen Dissertation. Es geht um Schreibblockaden – ein Thema, das viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus eigener, leidvoller Erfahrung kennen. Was war für Sie der Anlass, das aus wissenschaftlicher Perspektive zu betrachten?
Persönlich habe ich die Erfahrung gemacht, dass ständiges Produzieren zu einem Burnout führen kann, an dem nichts mehr geht. Kreativität lässt sich nicht erzwingen. Schreiben ist ein hochkomplexer psychologischer Prozess. Es gibt Autoren, die Schreibblockaden vehement bestreiten. Und manchmal wird das Wort Schreibblockade wirklich zu schnell in den Mund genommen. Ein einziger Tag, an dem man keinen guten Satz aufs Papier bringt, fühlt sich oft schon wie eine Blockade an. Andererseits ist nicht jede Pause gleich eine Blockade, sondern eine notwendige Unterbrechung im Schaffensprozess. Wenn man sich mit dem Thema beschäftigt, dann eröffnet sich ein großes Feld von Fragen. Wie kann ich meine Schreibfähigkeit lebendig halten? Wie kann ich Resilienz gegen Störungen entwickeln? Welche Schreibroutinen und Methoden funktionieren? Vieles spielt sich im Unterbewusstsein ab und ist wissenschaftlich schwer zugänglich. Die Forschung steckt noch in den Kinderschuhen. Um so wichtiger, dass Autoren offen darüber reden und schreiben.

Der Markt für Ratgeber zum kreativen Schreiben ist riesig. Helfen solche Bücher, Schreibblockaden zu vermeiden oder zu überwinden?
Es gibt durchaus gute Ratgeber. Die Ratschläge sind aber nur hilfreich, wenn man auch weiß, woraus die eigene Blockade resultiert. Oft gibt es dafür nicht nur einen Grund, sondern mehrere Faktoren kommen zusammen: Technische Probleme, der Plot funktioniert noch nicht, Existenzängste, Deadlines und so weiter. Für mich beginnt die Überwindung der Blockade zunächst mit der Selbsterforschung.  Ratgeber können daher nur Impulsgeber sein. Sie bieten eine Spielwiese der Möglichkeiten. Man sollte sie ausprobieren, darf sie aber nicht als Gesetz sehen. Die Strategien, wie man eine Blockade überwindet, sind immer individuell zu betrachten.

Manchmal hat man als Autorin oder Autor das Gefühl, eigentlich auf einem guten Weg zu sein: Die Recherche läuft, es entsteht ein Handlungsgerüst und einige Seiten Text. Dann fängt man plötzlich wieder an, im Internet nach Informationen zu graben, obwohl man die Recherche eigentlich abgeschlossen hatte. Lenkt man sich da einfach vom Schreiben ab und sollte disziplinierter sein?  
Ohne Disziplin geht es natürlich nicht. Ein permanent schlechtes Gewissen ist jedoch kontraproduktiv. Die kreative Arbeit ist ein Prozess, der mehrere Phasen kennt – etwa Recherche, Inkubation, Inspiration, Schreiben, Überarbeiten. Doch diese Phasen folgen nicht aufeinander, sondern verlaufen rekursiv oder parallel. Da gibt es keine starren Regeln. Das kann verunsichern. Und manchmal bleibt man tatsächlich in dieser Schleife hängen. Man tut alles – nur nicht schreiben. Dieses Verhalten ist jedoch nie die Ursache einer Schreibblockade, sondern die Folge eines tieferliegenden Problems. Dem Warum sollte man sich widmen und sich nicht mit Selbstvorwürfen quälen.

Schreibblockaden sind ziemlich verbreitet. Gehört ein bisschen Leiden zum kreativen Prozess einfach dazu? 
Das Thema wird seit der Antike immer wieder diskutiert. Es gibt eine umfangreiche Literatur dazu. Schriftsteller wie Gustave Flaubert, Franz Kafka, Sylvia Plath oder James Joyce schreiben auch in ihren Briefen und Tagebüchern oft von der Qual des Schreibens. Und es gibt eine schwedische Langzeituntersuchung, dass Autoren statistisch gesehen häufiger unter psychischen Krankheiten leiden als andere kreative Berufe. Insofern bleibt das Thema spannend. Aber wir sollten aufhören, die sogenannte Melancholia als Voraussetzung für eine künstlerische Tätigkeitzu romantisieren. Sie ist eine Begleiterscheinung und nicht die Basis. Das wäre ja furchtbar.

Wann sollte man die Reißleine ziehen und den Schreibprozess zugunsten der eigenen psychischen Gesundheit abbrechen? 
Wenn die psychische Gesundheit beeinträchtigt ist, sollte man natürlich über eine bewusste Schreibpause nachdenken. Aber aufgeben? Nein. Schreiben wird von vielen Autoren und Autorinnen als existentielle Erfahrung empfunden. Man schreibt, weil man muss. Der Schreibwunsch ist eine wesentliche Triebfeder. Ihn zu unterdrücken, ist sicher keine Lösung. Kreativität ist – wie bereits gesagt – ein Prozess, der individuellen Regeln folgt. Denkt man darüber nach, ist das etwas Wunderbares. Die eigene Werkstatt als Experimentierfeld, in dem alles erlaubt ist.

Wie kann man aus so einer Schreibkrise wieder herauskommen?
Man kann über eine Blockade hinwegkommen, indem man seinen eigenen kreativen Prozess analysiert. Man muss herausfinden, welche Strategien zu einem passen und wie der eigene Workflow verläuft. Es gibt da kein Richtig oder Falsch.  Es geht darum, sich als Autor oder Autorin kennenzulernen und damit die eigene Individualität zu akzeptieren. Nicht das Leiden ist eine notwendige Voraussetzung für das Schreiben, sondern Selbstvertrauen. Das gewinnt man, indem man schreibt. Und zwar nicht mit dem Anspruch des Genies oder des Perfektionismus, sondern mit Experimentierfreude. Ein guter Text verfertigt sich im Tun. Dann wird das Schreiben manchmal zu harter Arbeit. Das muss man wissen. Aber Kreativität ist in einem angelegt. Sie geht nicht verloren. Also nicht aufgeben.

Kostenloser Online-Vortrag von Krystyna Kuhn bei der Textmanufaktur: „Schreibblockaden kennen und lösen“ am 19. Mai um 20 Uhr. Hier geht es zur Anmeldung.

Krystyna Kuhn wurde 1960 als siebtes von acht Kindern in Würzburg geboren. Sie studierte Slawistik, Germanistik und Kunstgeschichte in Würzburg und Göttingen sowie zeitweise in Moskau und Krakau. Sie arbeitete als Redakteurin und Herausgeberin. Seit 1998 ist sie freischaffende Autorin und schreibt mit Vorliebe Thriller und Krimis. Für ihr literarisches Werk wurde Krystyna Kuhn bereits zweifach für den Frauenkrimipreis nominiert. 2016 erhielt sie für „Monday Club. Das erste Opfer“ Die Goldene Leslie.