„Die Geschichte hinter dem Bild hat mich interessiert.“

Foto: Carole Lauener

Die Autorin, Künstlerin und Bibliothekarin Mara Meier erzählt, warum ein Aquarell im Wohnzimmer den Anstoß zu ihrem Debüt gab, wie aus vier Kisten Material eine Roman-Biographie entstand und was Schweizer Kantone für die Buchbranche tun.       

Mara Meier, in diesem Frühjahr ist Ihr erstes Buch erschienen. „Im Sommer sind die Schatten blau“ ist eine Roman-Biographie über die Malerin Amanda Tröndle. Wie sind Sie auf diese Frau aufmerksam geworden, auf ihre Lebensgeschichte um das Jahr 1900? 
Der Anlass war ein Aquarell, das schon lange bei uns in der Stube hing. Lange Zeit wusste ich gar nicht, wer es gemalt hatte. Dann habe ich erfahren, dass die Künstlerin von circa 1880 bis 1956 hier in Solothurn gelebt hat. Und es gibt einen Nachlass, der von einer Solothurner Familie verwaltet wird. Weil ich das Bild sehr mag und mich die Geschichte dahinter interessiert hat, habe ich zu der Familie Kontakt aufgenommen – und durfte vier große Kisten mit Briefen, Fotos und Skizzenbüchern sichten. Je mehr ich mich eingelesen und weitergeforscht habe, desto mehr hat mich diese Frau fasziniert.

Was ist das Besondere an der Geschichte dieser Künstlerin?
Dass sie mit über 40 Jahren nochmal einen Neuanfang gewagt hat – und das in ihrer Zeit! Amanda Tröndle war eine Solothurnerin der besseren Gesellschaft, sie hätte sich nach dem Tod ihres Mannes in ihre Villa zurückziehen und nebenbei ein bisschen malen können. Aber sie wollte es nochmal wissen und ist 1904 in den Künstlerort Dachau bei München gezogen. Das war nicht immer bequem. In ihren Briefen schreibt sie von primitiven Verhältnissen; das Geld war auch oft knapp. Wie sie künstlerisch ihren Weg gegangen ist, hat mich fasziniert. Und das spiegelt sich auch in ihrem persönlichen Leben. Sie hat einen 22 Jahre jüngeren Mann kennengelernt, der ebenfalls Künstler war. Die beiden haben sich verliebt und schließlich geheiratet – gegen die gesellschaftlichen Konventionen der Zeit.    

Ihr Roman ist im Rahmen des Fernstudiums der Textmanufaktur entstanden. Hatten Sie den Stoff schon im Blick, als Sie sich angemeldet haben?
Nein, ich habe zuerst an einen autofiktionalen Text gedacht. Dorothee Schmidt, meine Mentorin im Lehrgang, hat mir aber empfohlen, für den ersten Roman eher einen Stoff mit mehr Distanz zur eigenen Person zu nehmen. Dass ich genau zu diesem Zeitpunkt auf den Nachlass gestoßen bin, war wirklich ein Zufall. Und als ich dann erfahren habe, dass es über Amanda Tröndle-Engel bisher nur eine etwas altbackene Kurzbiographie aus den 1950er Jahren gibt, dachte ich: Das wär‘s! Dorothee Schmidt hat mir dann geholfen, mich zu fokussieren und das Projekt einzugrenzen.

Was haben Sie letztlich ausgewählt? Ein ganzes Leben ist lang, vielleicht zu lang für ein Buch.
Ja, tatsächlich. Amanda Tröndle ist über 90 geworden. Zuerst wollte ich ihr Leben von der Wiege bis zum Grab erzählen. Aber das hätte sich nicht so gut gelesen, denke ich. Zuerst einmal habe ich die Lebensdaten chronologisch aufgelistet und dann zusammen mit Dorothee Schmidt geschaut: Wo ist eine spannende Zeit, an der sich eine Entwicklung zeigen lässt? Ich habe mich dann auf die Phase vom Tod ihres ersten Mannes bis zur Heirat mit ihrem zweiten Mann beschränkt. Denn in dieser Zeit hat sie sich die Freiheit genommen, zu sagen: Ich werde Künstlerin.  

Wie und wo haben Sie recherchiert?  
Vor allem in Büchern. Ich habe viel über die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts gelesen. Das ist wirklich eine spannende Zeit, während der vieles erprobt wurde und im Umbruch war, auch gesellschaftlich und zwischenmenschlich. Lesbische Frauen haben miteinander gelebt, Menschen mit Polyamorie experimentiert. Es gab einen Kampf um die Gleichberechtigung der Frauen und natürlich die industrielle Entwicklung. Ich habe auch Romane und Zeitungsartikel aus der Zeit gelesen, Modeannoncen studiert oder in Kochbüchern von damals geblättert. So konnte ich eine Vorstellung davon entwickeln, wie Amanda sich gekleidet, was sie gegessen hat oder in welche Wirtshäuser sie in München vielleicht gegangen ist. Über den Nachlass hatte ich Zugang zu vielen Skizzen und Aquarellen von Amanda Tröndle. Die sind im Buch Ausgangspunkte für einige Szenen. 

Viele der Schauplätze liegen für Sie als Solothurnerin ja direkt vor der Haustür. Sind Sie auch nach München und Dachau gereist?
Während des Schreibens war ich eine Woche in München. Nach Dachau wollte ich später reisen, aber dann kam die Pandemie. Ich bin nur noch im Kopf gereist und habe mir zum Beispiel Bücher über Dachau und die Maler dort beschafft, zum Teil auch antiquarisch. Es hat mich immer mehr hineingezogen in diese Zeit und dieses Leben. Ich habe sogar von Amanda geträumt. Irgendwann hatte ich das Gefühl, die Figur übernimmt und öffnet mir die Tür zu ihrer Welt. Da ging auch das Schreiben flüssiger und schließlich fast wie von selbst.

Amanda Tröndle ist über die Schweiz hinaus kaum bekannt. Wie haben Sie den passenden Verlag für so ein spezielles Buch gefunden?
Dorothe Schmidt hat mir geraten, es bei Schweizer Verlagen zu versuchen, und das war genau der richtige Weg. Ich habe mein Exposé an sieben Verlage geschickt, zwei davon wollten das Buch machen. Letztlich habe ich mich klar für den Verlag Zytglogge entschieden, der etabliert und in der Schweiz sehr bekannt ist. Dort wurde der Text wirklich gut lektoriert und ich bin sehr zufrieden.  

Für das Buch gab es eine Förderung von der Stadt und dem Kanton Solothurn sowie von der der Däster-Schildstiftung. Haben Sie gezielt nach so einer Möglichkeit gesucht?  
In der Schweiz ist es durchaus üblich, dass die Kantone oder Städte den Druck von Büchern mit regionalem Bezug unterstützen. Beantragt wird das vom Verlag. Eine unabhängige Kommission prüft das Manuskript dann auf Qualität und Relevanz und der Regierungsrat gewährt den Zuschuss. Mein Buchvertrag mit Zytglogge ist aber unabhängig von dieser Förderung zustande gekommen, der Vertrag war bereits unterschrieben. Der Zuschuss hat geholfen, ein schönes, hochwertiges Buch zu drucken und ist natürlich auch für mich eine tolle Anerkennung.

Mara Meier, geboren 1959 in Zürich, verbrachte einen großen Teil ihres jungen Erwachsenenlebens als Botanikerin in Chile. Seit 2009 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin der Zentralbibliothek Solothurn. Sie hat zwei erwachsene Söhne und wohnt mit ihrem Lebensgefährten in Solothurn. „Im Sommer sind die Schatten blau“ ist ihr erster Roman.