„Einige Szenen habe ich aus beiden Perspektiven geschrieben.“

© Patricia Schichl

Die Autorin Katharina Korbach spricht über Perspektivwechsel in ihrem Roman „Sperling“, was diese bewirken und ob verschiedene Perspektiven auch innerhalb einer Szene möglich sind.

Katharina Korbach, in Ihrem Roman „Sperling“ erzählen Sie aus zwei Perspektiven: Aus der personalen Perspektive der weiblichen und der männlichen Hauptfigur. Warum machen Sie das?
Schreiben beginnt für mich immer mit der Suche nach einer Form, in der sich eine Geschichte erzählen lässt. Erst, wenn ich ein formales Grundgerüst im Kopf habe, kann ich richtig anfangen. Obwohl die Hauptfiguren in „Sperling“ sich zueinander hingezogen fühlen, tun sie sich schwer damit, Nähe zuzulassen. Das Changieren der Erzählperspektive in kurzen Abständen macht ihre Annäherung kleinschrittig nachvollziehbar. Es war mir wichtig, die Blickwinkel beider Figuren abzubilden, auch um zu zeigen, inwieweit Selbst- und Fremdwahrnehmung variieren.

Haben Sie erst die eine und dann die andere Perspektive geschrieben?
Nein, ich habe immer parallel an den Perspektiven gearbeitet. Spätestens mit der ersten Begegnung der Hauptfiguren waren die Erzählstränge auch gar nicht mehr zu trennen. Aus zwei separaten Geschichten wurde eine gemeinsame. Von da an bestand eine der größten Herausforderungen darin, zu entscheiden, aus welcher Perspektive eine bestimmte Szene geschildert werden sollte. Teilweise habe ich Szenen – etwa einen gemeinsamen Museumsbesuch – erst aus beiden Perspektiven geschrieben, um zu erspüren, welche für mich stimmiger ist.

Wie ist es Ihnen gelungen, die beiden Erzählstränge so zu verschränken, dass es dramaturgisch passt?
Beim Schreiben hatte ich mir die Regel gesetzt, dass die Erzählung – einige Rückblenden ausgenommen – chronologisch verlaufen sollte. Nachdem die Rohfassung des Manuskripts fertiggestellt war, habe ich alle Szenen auf Karteikarten geschrieben und noch einmal neu arrangiert. Dabei habe ich darauf geachtet, dass die Erzählanteile relativ ausgewogen sind und die einzelnen Kapitel eine gewisse Länge nicht überschreiten. Einige Passagen musste ich entsprechend kürzen, verschieben oder umschreiben.

Wenn Sie von einer zur anderen Figur wechseln – ändert sich mit der Erzählperspektive dann auch der Ton?
Einen Unterschied in der Tonalität habe ich nicht beabsichtigt. Es ist aber denkbar, dass er sich unbewusst in den Text geschlichen hat. Hätte ich mich für die Ich-Perspektive entschieden, wäre die sprachliche Differenz zwischen den beiden Erzählstimmen vermutlich stärker wahrnehmbar.

Welche anderen Möglichkeiten gibt es, um deutlich zu machen, dass die Erzählperspektive wechselt?
Es ist sicher hilfreich, dem Text eine formale Struktur zu geben, die den Perspektivwechsel ankündigt. In meinem Roman ist das jeweils der Beginn eines Kapitels, mit dem immer auch ein Wechsel der Perspektive einhergeht.

Innerhalb einer Szene die Erzählperspektive wechseln, das ging lange Zeit überhaupt nicht. Inzwischen liest man das in Romanen aber häufiger. Wann funktioniert so etwas und wann nicht?
Ein Potpourri an Perspektiven innerhalb einer Szene kann reizvoll sein, etwa, wenn es eine facettenreiche, chorische Abbildung eines Ereignisses oder einer Thematik ermöglicht. Allerdings ist der Grat zwischen einer im positiven Sinne fordernden Lektüre und einer durch die Perspektivsprünge erzeugten Verwirrung, die dem Text eher schadet, oft schmal.

Worauf sollte ich als Debütautorin achten, wenn ich eine Geschichte aus verschiedenen Perspektiven erzähle?
Die Perspektivwechsel sollten im Text eine Funktion erfüllen und nicht nur formale Spielerei sein. Zudem sollte man sich bewusst machen, dass es durchaus schwierig ist, multiperspektivisch zu erzählen, ohne oberflächlich zu werden. Damit Lesende einen empathischen Zugang zu einer Figur entwickeln, reicht es nicht aus, eine Perspektive nur kurz anzureißen, bevor zur nächsten gewechselt wird. Generell würde ich empfehlen, spielerisch an die Sache heranzugehen und verschiedene Blickwinkel auszuprobieren.

Katharina Korbach, geboren 1995 in Wiesbaden, studierte Kulturwissenschaften in Lüneburg und St Andrews. Ihre Erzählungen gewannen mehrere Wettbewerbe und wurden in Anthologien und Literaturzeitschriften veröffentlicht. 2013 war sie eine der jüngsten Finalist:innen in der Geschichte des Berliner Literaturwettbewerbs open mike. 2019 erhielt sie das Hessische Literaturstipendium für Litauen. Ihr Debütroman „Sperling“ erschien im Berlin Verlag. Sie lebt als freie Autorin und Lektorin in Berlin.