„Ich möchte lachen, bevor ich mit dem Weinen anfange.“

Experten-Tipps: Literarisches Schreiben und Humor

Lukas Linder
@agnieszka cytacka fotografia
@agnieszka cytacka fotografia

Der Autor Lukas Linder über Selbstironie, Schamgefühl und wie aus tragischen Erfahrungen im Leben komische Szenen im Roman werden. 

Beim Lesen Ihres Romans Der Unvollendete musste ich mehrmals lachen und ziemlich oft schmunzeln. Planen Sie so etwas oder passiert das eher intuitiv? 
Es ist nicht so, dass ich beim Schreiben das schallende Gelächter des Lesers im Ohr hätte. Da ich den Leser sowieso nicht kenne und im Zweifelsfalle mir jemanden vorstellen würde, der meinen Sätzen mit größtem Unbehagen folgt, bleibt mir nichts anderes übrig, als das zu schreiben, was ich selber lustig finde. Oft geschieht es dabei, dass ich Witze nur beim Hinschreiben komisch finde, während mir beim Wiederlesen das Gesicht einschläft. Damit man weiß, ob ein Witz funktioniert, braucht es Zeit, Distanz und ein trainiertes Schamgefühl.

Was braucht es für eine wirklich komische Szene? 
Die Antwort lautet wiederum: ein trainiertes Schamgefühl. Erst war die Scham, dann war die Komik. Denken Sie nur an Adam und Eva. Bei mir entsteht eine komische Szene in der Umkehrung einer an sich niederbeutelnden Erinnerung. Man erzählt die unangenehme, vielleicht sogar tragische Erfahrung noch einmal, diesmal aber als Komödie, was ihr die Schwere nimmt, mehr noch: den Wiederfahrnischarakter. Ich bin nicht mehr länger Opfer eines erniedrigenden Schicksals, sondern Akteur in einer Geschichte, deren Fäden ich stets in den Händen halte.

Andere zum Lachen bringen, kann man das als Schriftsteller lernen oder ist das so etwas wie eine Charaktereigenschaft, die man entweder hat oder eben nicht? 
Vieles ist tatsächlich Handwerk. Doch braucht es zusätzlich vielleicht eine Veranlagung oder Gespür für das komische Potenzial einer Situation. So gibt es Begebenheiten, die schlichtweg nicht lustig sind und der Versuch, daraus einen Witz zu schlagen, wirkt dann oft forciert und wenig komisch. Ich mag es beim Schreiben, mich über mich selber lustig zu machen, das heißt, über meine eigenen Grenzen, Idiotien und Unzulänglichkeiten. Das wirkt einfach unglaublich befreiend. Einer der schönsten Tage meines Lebens war, als ich die Selbstironie entdeckt habe.

Wenn man besonders witzig sein will, schießt man schnell übers Ziel hinaus – auch vielen Schriftstellern passiert das. Wie überprüfen Sie, ob die komischen Szenen und die Figuren stimmig sind? 
Masochistisches Wiederlesen lautet die Lösung. Besonders knifflig sind dabei die persönlichen Selbsttäuschungsmechanismen, mit denen man sich einzureden versucht, dass ein Witz eben doch unglaublich komisch ist. Ich hege aber eine heimliche Liebe für Autoren, die übers Ziel hinausschießen – wohl, weil mir selber das auch passiert. Perfekte Witze haben auch etwas Museales. Ich mag Oscar Wildes „Bunbury“, aber bei seinen gedrechselten Pointen empfinde ich keinerlei Lachlust sondern bewundere sie für ihre formale Schönheit.

Manchmal, vor allem zum Ende Ihres Buches, ist mir das Lachen buchstäblich im Hals steckengeblieben. Gehören Komik und Tragik zusammen? 
Komik tröstet darüber hinweg, dass die Wirklichkeit eher nicht so heiter ist. Ich empfinde die Grundstimmung meines Buches von Anfang an als melancholisch, wahrscheinlich weil es auch die Stimmung ist, in der ich es geschrieben habe. Doch wird die Traurigkeit erst zum Ende hin so richtig spürbar. Für mich macht das irgendwie Sinn. Ich möchte erst Lachen, bevor ich mit dem Weinen anfange.

Lukas Linder, geboren 1984, studierte Germanistik und Philosophie. Er ist Dramatiker, schrieb unter anderem für das Theater Basel und wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter der Kleist-Förderpreis und der Publikumspreis des Heidelberger Stückemarkts. Sein Romandebüt Der Letzte meiner Art erschien 2018 bei Kein & Aber, 2020 folgte Der Unvollendete. Lukas Linder lebt in Basel und in Lodz.