„Ich mag Bücher, die mir existentielle Fragen stellen.“

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Foto: Siggi Bucher

André Hille, Gründer der Textmanufaktur, spricht über seinen ersten Roman. Im Interview erzählt er, warum Schreiben für ihn am besten morgens funktioniert, was Ballett mit Literatur zu tun hat und wie der Alltag seine Texte beeinflusst.   

André Hille, die meisten kennen dich als Verleger, Dozent und vor allem als Gründer und Gesicht der Textmanufaktur. Im August erscheint dein erster Roman „Das Rauschen der Nacht“ im Blessing Verlag. Wie lange hast du an dem Buch gearbeitet?
Ich habe mit Unterbrechungen an dem Buch gut drei Jahre gearbeitet. Ich bin ja „eigentlich“ Autor, sofern man das alles überhaupt voneinander trennen kann, aber zwischen dem 18. und 30. Lebensjahr war ich felsenfest davon überzeugt, ausschließlich Schriftsteller zu sein. Erst, als das nicht geklappt hat, habe ich angefangen, im Literaturbetrieb zu arbeiten, als Lektor, dann als Dozent. Gut zehn Jahre später kehrte der Wunsch zu schreiben mit aller Macht zurück. Meine Familie und ich waren gerade von Leipzig aufs Land gezogen, und diese neue Weite, diese Leere der norddeutschen Felder und Wiesen hat mich dann zum ersten Kapitel von „Rauschen“ inspiriert.

Wie verstehst du dich heute – in erster Linie als Literaturvermittler oder als Schriftsteller?
Das ändert sich langsam. Viele Jahre bin ich voll in der Rolle des Vermittlers aufgegangen und habe andere in ihrem Schreibprozess unterstützt. Mit der sehr intensiven Arbeit an meinem zweiten Roman verschiebt es sich gerade. Jetzt wache ich morgens auf und setzte mich zuerst an den Roman, dann an die Mails.
  
Du bist Inhaber der Textmanufaktur, Teilhaber der Literaturagentur Hille und Schmidt, organisierst zahlreiche Seminare, Tagungen – und hast eine Familie. Wie schaffst du es da, Ruhe und Zeit für deinen Roman zu finden?
Gleich morgens, wenn alle Kinder versorgt sind, muss ich zuerst schreiben. Dann trägt man das Geschriebene den ganzen Tag mit sich herum und es arbeitet in einem weiter. Ich arbeite jeden Tag, samstags, sonntags, im Urlaub. Zwar nicht Vollzeit, aber immer zumindest ein paar Stunden. Und schließlich arbeite ich projektweise. Wenn große Projekte wie die narrativa anstehen, kümmere ich mich eine Zeitlang vorwiegend darum.

„Das Rauschen der Nacht“ erzählt von Jonas, Inhaber eines StartUps, der mit seiner Familie aus der Stadt aufs norddeutsche Land gezogen ist. Sein Unternehmen fordert ihn, beim Hausbau gibt es Probleme und der Druck greift immer mehr auf seine Familie über. Du bist selbst Unternehmer und wohnst, wie du eben erzählt hast, seit einigen Jahren mit deiner Familie auf dem Land. Wie viel eigenes Erleben steckt in deinem Roman?
Wie immer ist das Eigene Erzählanlass und Kristallisationspunkt, mündet aber dann in die Fiktion. Die Figuren entwickeln ein Eigenleben, die Geschichte verselbständigt sich, hinzu kommen die Notwendigkeiten des Stoffes und der Dramaturgie. Alles ist viel verdichteter als im wirklichen Leben. Aber sicher nimmt man Vieles aus dem Alltag mit in den Text, einzelne Erinnerungen, Reflexionen, kurze Dialoge, Menschen, die man irgendwann mal getroffen hat.
 
„Das Handwerk des Schreibens ist erlernbar“ – so lautet der Grundanspruch der Textmanufaktur. Was heißt das für dich, für dein eigenes Schreiben?
Früher, in meinen Zwanzigern, habe ich mich selbst für einen Autor gehalten, der unheimlich viel zu sagen hat. Vielleicht war das auch so, aber ich habe keinen Weg gefunden, es auszudrücken. Das Handwerk gibt mir die Mittel an die Hand, das, was ich sagen will, in eine Form zu bringen. Das Handwerk schlägt Brücken, wenn man wieder in alte, dysfunktionale Muster zurückfällt, es zwingt einen auch, sich wirklich mit der Form und deren Notwendigkeiten auseinanderzusetzen. Tänzer, Schauspieler, Musiker oder Maler lernen ihr Handwerk an den jeweiligen Schulen jahrelang, genauso wie Autorinnen und Autoren. Was man beim Ballett sieht, ist der Endpunkt jahre- oder jahrzehntelangen härtesten Trainings. So ähnlich ist es auch beim Schreiben. Natürlich bringt jeder andere Voraussetzungen mit, vielleicht Talente, eine frühe Hinwendung zu einer Kunstform. Aber wie sagte mal jemand: Handwerk ist nicht alles, aber ohne Handwerk ist alles nichts.

Ein Roman sollte also handwerklich gut gemacht sein, aber das allein reicht nicht. Was braucht ein Buch noch?
Meine Agentin sagte mal über „Das Rauschen der Nacht“, da stecke viel Leben drin. Das hat mir gefallen. Ich persönlich mag Bücher, die mir existenzielle Fragen stellen, die mich an einen Punkt führen, an dem ich beginne, über mein Leben nachzudenken. Wenn mir das nur ansatzweise mit meiner Literatur gelingt, wäre ich sehr zufrieden.

André Hille, geboren 1974 in der Altmark, studierte Literatur- und Medienwissenschaften, Jura sowie Grafik und Malerei in Marburg/Lahn. Neben und nach dem Studium arbeitete er als Buchhändler, Lokalreporter, Paketbote, Umzugshelfer und in diversen anderen Jobs, bevor er 2005 nach Leipzig umzog. Dort übernahm er die Programmleitung eines kleinen belletristischen Verlags. 2009 gründete er die Autorenschule Textmanufaktur.