„Diesen Roman wollte ich schon schreiben, als ich 15 war.“

Corinna Kulenkamp, Foto: Erol Gurian

Corinna Kulenkamps Debüt „Aprikosenzeit, dunkel“ erzählt von Armenien und den Spannungen, die ein Leben mit unterschiedlichen Wurzeln mit sich bringt. Im Interview spricht die Autorin über ihre Herzensgeschichte, die Recherche in einem Land, das den meisten von uns fremd ist und darüber, was Schreiben für sie bedeutet.

Diesen Herbst ist ihr Debüt erschienen. Was war für Sie der Anlass, über Armenien und den Völkermord zu schreiben?
Diesen Roman wollte ich schon schreiben, als ich 15 war. Auch wenn ich damals noch nicht alle Details kannte – die Passagen über den Genozid hatte ich schon als 15-jährige grob im Kopf. Als ich anfing, ernsthaft an meinem Roman zu arbeiten, habe ich diesen Teil als erstes geschrieben. Dann kam noch eine zweite Ebene dazu, die in der Gegenwart spielt und den Hauptstrang des Romans bildet.

Ihre Mutter ist Armenierin, Ihr Vater Deutscher. Welche Rolle spielte das Thema Armenien bei Ihnen zu Hause? 
Meine Mutter ist Armenierin, stammt aber aus dem Libanon. Was ich von ihr mitbekommen habe, ist also nicht immer typisch armenisch. Es entspring der Geschichte derjenigen, die den Völkermord überlebt haben und in den Libanon gegangen sind. Meine Lieblingsgerichte sind armenisch-libanesische Gerichte, die es teilweise in Armenien in dieser Form nicht gibt. Trotzdem spielte armenische Kultur während meiner Kindheit allein deshalb eine Rolle, weil ich zweisprachig bin. Armenisch war für mich lange eine Art Geheimsprache. Als ich nach Armenien gereist bin, habe ich es als etwas sehr Besonderes empfunden, dass es dort von allen gesprochen und verstanden wird.

Für die Recherche zu Ihrem Roman waren sie zum ersten Mal dort. Wie haben Sie die Zeit in Armenien erlebt?
Für mich war klar: Wenn ich diesen Roman schreiben will, muss ich dorthin reisen. Denn ich kannte dieses Land ja überhaupt nicht. Dank zweier Stipendien konnte ich mehrere Monate in Armenien verbringen, in das Land und seine Kultur eintauchen. Ich habe mit vielen Menschen gesprochen und bin an Orte gelangt, die ich als Touristin nicht hätte besuchen können, bis hin zu einem Schützengraben an der armenisch-aserischen Grenze. Solche Einblicke haben natürlich auch meinen Roman beeinflusst.

Sie haben Politikwissenschaft und Völkerrecht studiert, dann promoviert. Wie wichtig war dieser Hintergrund bei Ihrer Arbeit am Roman?
Den Roman habe ich als Autorin geschrieben, nicht als Wissenschaftlerin. Aber sicherlich fließt mit ein, dass ich ein sehr politisch interessierter Mensch bin. Es geht ja im Roman auch viel um Gesellschaftliches, um die Frage von Korruption zum Beispiel. Das sind Dinge, die mir bei meiner Recherchereise nicht nur aufgefallen sind, sondern auch Fragen aufgeworfen haben. Für den Teil des Romans über den Völkermord und die Zeit in der Wüste habe ich allerdings sehr viel wissenschaftlich recherchiert und auch Berichte von Überlebenden gelesen.

Das Erscheinen Ihres Romans fiel mit den dramatischen politischen Entwicklungen in Armenien zusammen, der Besetzung der Region Bergkarabach durch Aserbaidschan.
Ja, die Entwicklungen dort erschüttern mich zutiefst. Ich konnte während des Schreibprozesses nicht absehen, wie brandaktuell der Roman dadurch auch hinsichtlich der Genozid-Passagen werden würde. Aber ich bin froh, wenn durch mein Buch ein paar mehr Menschen auf diese Region blicken, die sonst vergessen wird. In Deutschland wissen die meisten sehr wenig über Armenien, und wenn überhaupt, dann oft nur im Zusammenhang mit dem Völkermord. Oft kommen nach meinen Lesungen Menschen auf mich zu, die fragen: Warum wusste ich nichts von der Geschichte der Armenier? Wieso lernt man das nicht? Manche sind fast ein bisschen verschämt, als müssten sie sich dafür entschuldigen. Da kann ich nur sagen: Deswegen muss man sich nicht verstecken, es wird hier einfach nicht erzählt.

Dass hier so wenig über Armenien bekannt ist – hat diese Erfahrung Sie motiviert, den Roman zu schreiben?
Ich habe den Roman nicht geschrieben, weil es politisch so wichtig ist. Es ging mir um das Erzählen an sich. Ich schreibe, weil ich schreiben muss. In „Aprikosenzeit, dunkel“ erzähle ich meine Herzensgeschichte, von der ich immer wollte, dass sie mein Debüt wird. Dabei war es mir sehr wichtig, nicht nur die Geschichte des Völkermords zu erzählen, im Gegenteil. Ich wollte zeigen, dass es modernes armenisches Leben mit all seinen Fragen, Schwierigkeiten und Glückmomenten gibt, so wie jedes Leben, egal mit welcher Herkunft. Aber mir wurde auch sehr schnell klar: Ohne den Völkermord lässt sich das nicht erzählen. Er ist der Dreh- und Angelpunkt in der armenischen Geschichte, der sich bis heute auf alle Armenier und Armenierinnen auswirkt.

An Ihrem Buch haben Sie auch in einer Romanwerkstatt bei der Textmanufaktur gearbeitet. Was konnten Sie da mitnehmen?
Für mich war es das erste Mal, dass ich mit anderen intensiv über meinen eigenen Text diskutiert habe. Von Klaus Siblewskis sehr erfahrenem und feinen Blick als Lektor der Romanwerkstatt habe ich sehr profitiert. Nicht nur die Arbeit am eigenen Text, auch die Arbeit an den Texten anderer kann das eigene Schreiben schärfen. Das kann ich sehr empfehlen.

Gibt es schon Pläne für Ihr nächstes Projekt?
Ich habe kürzlich mit meinem zweiten Roman begonnen. Diesmal ist es ein rein deutsches Thema, das nichts mit Armenien zu tun hat. Gleichzeitig ist „Aprikosenzeit, dunkel“ durch Lesungen und Interviews für mich noch sehr präsent. Daneben muss ich mir Inseln schaffen, wo ich komplett in den anderen Roman eintauchen kann. Das ist eine neue, aber auch sehr schöne Erfahrung. Ich sage mir: Einmal habe ich es schon geschafft, einen Roman zu Ende zu schreiben, dann schaffe ich es auch ein zweites Mal.

Corinna Kulenkamp, 1987 in Düsseldorf geboren, wuchs zweisprachig als Tochter einer Armenierin und eines Deutschen in der Pfalz auf. Sie studierte in München und Harvard Politikwissenschaft und Völkerrecht und wurde anschließend in München zur Dr. phil. promoviert. Sie erhielt zahlreiche Stipendien und arbeitet als Lektorin für das Fernstudium der Textmanufaktur. „Aprikosenzeit, dunkel“, erschienen im Orlanda Verlag, ist ihr Romandebüt. Corinna Kulenkamp lebt und arbeitet in München.