„Manuskripte von Agenturen schauen wir immer zuerst an.“

Foto: Anikka Bauer

Rowohlt-Programmleiterin Ulrike Ostermeyer über die Zusammenarbeit mit Literaturagenturen, Trends auf dem Buchmarkt und die unscharfe Grenze zwischen Literatur und Unterhaltung.

Ulrike Ostermeyer, Sie sind Programmleiterin für Literatur beim Rowohlt Verlag. Freuen Sie sich über direkt zusandte Exposees und Manuskripte?
Das ist eine gute Frage, gleich zu Anfang! Sowohl als auch, muss ich sagen. Einerseits bin ich natürlich gespannt und neugierig, ob etwas für unser Programm dabei ist. Andererseits bekommen wir zuallererst sehr viele Empfehlungen von Literaturagenturen und international auch von unseren Scouts, die beispielsweise in New York, London oder Paris vor Ort sind. Über die erfahren wir sehr frühzeitig und genau, was auf den jeweiligen Buchmärkten passiert. So erhalten wir bereits eine große Menge an Manuskripten und hinzu kommen natürlich noch die Texte unserer Stamm-Autorinnen und -Autoren. Trotzdem versuchen wir, auch in direkt eingesandte Manuskripte hineinzuschauen, zum Beispiel, wenn das Thema interessant klingt. Aber allein aufgrund der Menge ist das oft schwierig.

Sollten sich Debütautorinnen und -autoren also eine Agentur suchen?
Ja, ich würde immer dazu raten, erst einmal den Weg über eine Agentur zu gehen. Deswegen gebe ich das Seminar bei der Textmanufaktur auch zusammen mit Adam Heise von der Agentur Simon, der diese Perspektive einbringt. Weil die Agenturen die Programme der Verlage sehr gut kennen, können sie eine qualifizierte Vorauswahl treffen. Wir im Verlag schauen die Manuskripte, die von Agenturen kommen, immer zuerst an.  

Wie finde ich als Autorin heraus, welche Agentur zu mir passt?
Auf den Websites der Agenturen kann man sich einen guten Überblick verschaffen. Es ist natürlich wichtig zu schauen, ob die eigene Textform dort überhaupt vertreten wird. Einen Krimi sollte ich nicht an eine Agentur schicken, die keine Krimis macht. Man sollte eine Vorstellung davon haben, in welches Umfeld der eigene Text gehört und daraufhin die Agenturen auswählen.

Unter einem Krimi kann sich jeder etwas vorstellen. Was Verlage aber genau unter „gehobener Unterhaltung“ oder „Frauenunterhaltung“ verstehen, weiß nicht jeder. Muss ich meinen Text bereits im Exposee solchen Kategorien zuordnen?
Nein, dafür gibt es die Profis in den Agenturen und den Verlagen. Wir verlangen nicht von den Autorinnen und Autoren, dass sie den Markt genau kennen und ihren Text den Genres und Subgenres zuordnen. Zu schreiben, dass es sich zum Beispiel um einen Krimi oder eine Familiengeschichte handelt, ist aber natürlich möglich und auch sinnvoll.

Wo liegt denn der Unterschied zwischen Literatur und Unterhaltung?
Die Frage ist im Grunde eine sehr deutsche, in der angloamerikanischen Literatur hat man das nie so strikt unterschieden. Aber auch bei uns gibt es inzwischen große Schnittmengen, die Grenzen sind fließend. Grundsätzlich kann man sagen, dass der Unterschied in der Erzählhaltung liegt. Je zugänglicher, sprachlich und auch formal einfacher ein Text ist, desto mehr ordnen wir ihn in die Unterhaltung ein. Je anspruchsvoller, komplexer, weniger rein auf Emotion, Story und Plot ausgerichteter ein Text ist, desto mehr ordnen wir ihn der Literatur zu. Für diese Schnittmengen gibt es die Begriffe „Gefühlte Literatur“, „Gehobene Unterhaltung“, „Literarische Unterhaltung“.

Vor allem das Unterhaltungssegment ist stark von Trends geprägt. Wenn ich als Autorin unbedingt veröffentlichen will – lohnt es sich, dann gezielt über ein Trendthema zu schreiben?  
Es kommt natürlich auf den Antrieb der Autorin oder des Autors an: Schreibe ich, weil ich ein tiefes Bedürfnis habe, mich und meine Sicht auf die Welt schriftlich auszudrücken? Oder sehe ich das Schreiben eher als Beruf, mit dem ich Geld verdienen will? Im Krimibereich gibt es zum Beispiel viele, die das sehr professionell angehen und sagen: Ich kann das Handwerk, habe eine gute Story und daraus mache ich jetzt eine Serie. So etwas kann funktionieren.  

Aber vielleicht ist der Trend schon wieder vorbei, wenn ich mein Manuskript fertiggeschrieben habe?
So schnell geht das meistens nicht. Oft denken wir in den Verlagen: Das haben wir doch schon x-mal gehabt. Aber in den Buchhandlungen funktioniert das Thema immer noch. Wer in die Bestsellerlisten schaut und auf die Tische in den Buchhandlungen, der sieht ganz gut, was gerade gekauft wird. Oder man unterhält sich mit Buchhändlern und fragt sie nach Trends. Manchmal gelingt es einem Autor oder eine Autorin auch, einen neuen Trend zu setzen. Aber darauf würde ich mich nicht verlassen. Wer im Unterhaltungsbereich schreiben will, um Geld zu verdienen, der sollte den Markt im Blick haben und schauen, was sich gerade verkauft.

Wie sieht es in der Literatur aus, gibt es da auch Trends?
Wir beobachten schon seit Längerem den Trend zum autofiktionalen Schreiben. Da sehe ich auch Schnittmengen zwischen erzählendem Sachbuch und Literatur. Außerdem werden die Texte wieder politischer. Es geht zum Beispiel um Feminismus, Klassismus, Diversität. Aber wer das Gefühl hat: Ich muss unbedingt Gedichte schreiben, der sollte das tun – egal ob das dem Trend entspricht oder nicht. 

Meinen Text richtig positionieren“, unter diesem Motto steht das Seminar mit Ulrike Ostermeyer und Adam Heise am 15. und 16. Juli in Berlin. Weitere Informationen und Anmeldung

Ulrike Ostermeyer hat eine fast dreißigjährige Verlagserfahrung im Bereich Belletristik. Als leitende Lektorin hat sie mehr als ein Jahrzehnt das belletristische Programm des Deutschen Taschenbuch Verlags mitgeprägt und dort das Format „dtv premium“ aufgebaut. Danach verantwortete sie für mehrere Jahre als Programmleiterin Belletristik die Literatur in den Programmen der Ullstein Buchverlage und war Verlagsleiterin des Arche Literatur Verlags, wo ihr ein Relaunch des Programms und des Verlagsauftritts gelang. Heute arbeitet sie als Programmleiterin für Literatur beim Rowohlt Verlag in Hamburg.