Der Schriftsteller Matthias Nawrat erzählt, wie seine Romane entstehen, welche Rolle Notizbücher und Handy dabei spielen und warum beim Schreiben vor allem eines hilft: Weiterschreiben.
Matthias Nawrat, Sie haben mehrere Bücher veröffentlicht, darunter fünf Romane. Wie beginnen Sie die Arbeit an einem neuen Text?
Nachdem ich etwas publiziert habe, stoße ich häufig in eine Leere. Ich fange morgens an zu schreiben, probiere etwas aus und merke: Die Sprache lügt, sie entspricht nicht dem, was ich ausdrücken will. Ich glaube, ich muss mich erst freischreiben von dem vorherigen Buch, dem Tonfall, einem bestimmten Blick auf die Welt. Die Messlatte, an der ich dann immer wieder scheitere, ist wohl die Höhe, die ich mit dem vorherigen Buch erreicht habe. Denn wenn man mehrere Jahre daran arbeitet, hat man schließlich das Beste herausgeholt. Das ist eine Art Gipfel, von dem man glaubt, dass man immer dort bleiben wird. Aber man muss wieder völlig von vorn anfangen, als würde man die Sprache neu lernen. So kommt es mir manchmal vor.
Wie kommen Sie durch diese eher mühsame Zeit des Ausprobierens und Verwerfens?
Ich setze mich trotzdem jeden Tag hin, mache entweder Schreibübungen oder führe mein literarisches Tagebuch. Daraus entstehen dann manchmal auch kürzere Texte. Und ich versuche mich in einer buddhistischen Haltung: Die Wirklichkeit, die Zeit und das, was ich als Subjekt wahrnehme durch mich hindurchfließen zu lassen. Dann kann ich nachmittags sagen: Egal, ob jetzt etwas dabei herausgekommen ist, der Prozess war gut. Aber das gelingt mir längst nicht immer.
Woran merken Sie, dass die Arbeit an einem neuen Buch begonnen hat?
Daran, dass mich Figuren länger interessieren als nur für einen Tag. Und irgendwann verdichten sich bestimmte Themen. Ich blättere zurück und merke: Hier und da gab es schon Ansätze. Passagen, die vor drei Monaten entstanden sind, haben etwas damit zu tun, was ich heute schreibe. Mit der Zeit wird dann eine größere Form sichtbar – die sich durchaus noch verändern kann. Das Schreiben ist für mich eine Art Forschungsprozess.
Schreiben Sie am Computer oder mit der Hand?
Ich schreibe meistens mit der Hand, in ein Notizbuch. Weil ich das seit zehn Jahren mache, sind entsprechend viele Regalmeter zusammengekommen. Die Notizbücher verwende ich als Tagebuch, für alle möglichen Notizen, für literarische Texte, für meine Romane. Wenn ich unterwegs bin, notiere ich auch oft ins Handy. Damit habe ich vor zwei Jahren angefangen, als ich begonnen habe, Lyrik zu schreiben. Vielleicht habe ich das Gefühl, dass der schmale Bildschirm mich in eine kürzere Form zwingt.
Wie wird aus Passagen im Notizbuch und im Handy schließlich ein Roman?
Zunächst versuche ich die zeitlichen Zusammenhänge im Kopf zu ordnen. Vorher ist das eher wie ein Raum, in dem alles gleichzeitig da ist. Aber das geht natürlich nur in der Vorstellung, nicht auf dem Papier. Irgendwann fange ich an, alles in den Computer zu tippen. Dabei überarbeite ich schon, kürze oder vervollständige. Die zeitliche Ordnung des Textes entwickelt sich nach und nach. Es geht dabei ja nicht nur um Handlungslogik im engeren Sinne, sondern auch darum, welche Motive wann und in welcher Reihenfolge auftauchen müssen. Dafür probiere ich aus, lese und schaue, ob die Ordnung schon passt. Dann baue ich wieder um, lese – ein sehr komplexer Prozess.
Arbeiten Sie mit Zetteln, Mindmaps oder Schlagwortverzeichnissen, um den Überblick zu behalten?
Nein, das hat sich für mich nicht bewährt. Ich habe inzwischen einige Übung darin, Passagen wiederzufinden und zu wissen, was wo steht. Indem ich die Texte abtippe und damit umgehe, lerne ich sie immer besser kennen.
Wann überarbeiten Sie Ihren Text sprachlich?
Das Abtippen ist ein erster Überarbeitungsschritt. Ich versuche aber, noch nicht zu viel abzuschmirgeln. Denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass ungelenke oder undurchsichtige Passagen häufig ihre Funktion haben. Darin kann sich die Suche nach etwas sedimentieren, und oft ist es für den Text gut, wenn das nicht komplett wegfällt. Auch das Überarbeiten ist ein Ausprobieren. Häufig merke ich später: Hier fehlt etwas. Dann muss ich die ursprüngliche Passage zurückholen und einen anderen Weg finden.
Lassen Sie Textausschnitte noch während des Schreibprozesses von anderen gegenlesen?
Dafür muss ich zuerst das Gefühl haben, dass ich an einem Text weiterarbeiten will. Dann zeige ich ihn zuerst meiner Frau, die selbst Schriftstellerin und auch eine sehr gute Lektorin ist. Wenn ich die Texte überarbeitet und zu einem Manuskript zusammengefasst habe, gebe ich das auch befreundeten Autorinnen und Autoren. Meine Lektorin liest es erst in einer sehr späten Phase.
Manchmal hakt es beim Schreiben oder auch beim Überarbeiten. Haben Sie Tipps, wie man da wieder herauskommt?
Hemingway sagt, man solle aufhören, wenn etwas Gutes passiert. So nimmt man dieses Gefühl mit in den restlichen Tag. Wenn möglich mache ich das so, aber manchmal stecke ich auch tagelang fest. Dann versuche ich, mich abzulenken, zum Beispiel Klettern zu gehen, Leute zu treffen und an etwas anderes zu denken. Oft schaue ich danach anders auf den Text.
Was würden Sie Debütautorinnen und -autoren auf dem Weg zum ersten eigenen Roman empfehlen?
Ähnlich wie beim sportlichen Training sollte man so viel schreiben wie möglich. Ich schreibe immer viel mehr, als später im Manuskript steht. Eine Überfülle, aus der man schöpfen kann, ist meiner Erfahrung nach wichtig. Auch wenn das bedeutet, nachher wieder zu kürzen.
Matthias Nawrat wurde 1979 in Opole/Polen geboren. Als Zehnjähriger kam er mit seinen Eltern nach Bamberg in Deutschland. Er studierte Biologie, arbeitete als Wissenschaftsjournalist und lebt seit 2012 als freier Schriftsteller in Berlin. Matthias Nawrat veröffentlichte mehrere Essays, ein Tagebuch, einen Lyrikband und fünf Romane, zuletzt „Reise nach Maine“ bei Rowohlt. Für seine Bücher wurde er mehrfach ausgezeichnet.