„Familienromane sind Dauerbrenner.“

Foto: Andreas Domma

Die Literaturagentin Gudrun Hebel über Familien als Schmelztiegel gesellschaftlicher Themen, warum Konflikte unverzichtbar sind und die eigene Biographie nicht unbedingt zum Roman taugt.

Gudrun Hebel, Sie bieten einen Schreibkurs zum Thema Familienroman an. Liegt diese Form derzeit besonders im Trend – oder sind Familienromane Dauerbrenner?
Erstmal vorweg: Der Begriff „Familienroman“ ist nicht klar definiert. Er kann alles umfassen, von einer Eltern-Kind-Beziehung, wie beispielsweise in Jonathan Franzens „Die Korrekturen“, bis zu zum Mehr-Generationenroman a lá Thomas Mann. Es kann sich dabei um unterhaltende Literatur handeln, und auch um berührende hochliterarische Werke. Schon die griechischen Göttersagen sind Familiengeschichten – insoweit ist das also eindeutig ein Dauerbrenner.

Und wenn wir auf die aktuelle Literatur schauen, was für Tendenzen und Entwicklungen beobachten Sie da?  
Eine Zeitlang war es sehr angesagt, Familiengeschichten auf zwei Zeitebenen zu erzählen. Aktuell erscheinen viele Bücher, die Familie im Zusammenhang einer bestimmten Zeit zeigen. Gefragt ist vor allem die jüngere Vergangenheit, also zum Beispiel die 1930er Jahre oder die Nachkriegszeit.  

Was macht das Thema Familie so interessant?
Jeder hat eine Familie, das bietet viel Identifikationspotential. Familien funktionieren wunderbar als Schmelztiegel großer gesellschaftlicher Themen. Ganz aktuell ist die Covid-Impffrage; in der Nazi-Zeit hatte die politische Überzeugung und die Religionszugehörigkeit Einfluss auf das Schicksal einer Familie. Ich finde auch die Frage, inwieweit sich die Figuren von familiären Moralvorstellungen, oft unbewusst, leiten lassen, eine sehr schöne literarische Herausforderung.

Bietet es sich an, beim Schreiben die eigene Familiengeschichte zu nutzen?
Viele Autorinnen und Autoren wählen als Hintergrund tatsächlich die eigene Familie. Hier ist es wichtig, klar zwischen dem Setting und dem Plot des Romans zu unterscheiden. Die eigene Familiengeschichte liefert oft ein wunderbares Setting, also beispielsweise den Ort und das soziale Milieu. Für einen guten Plot brauche ich aber etwas, das meine Geschichte interessant macht. Hier sollte man nicht zu sehr am Biographischen kleben.

Wie entwickle ich eine Geschichte, die trägt?
Man kann aus jedem Thema einen Roman machen. Wichtig ist ein Grundkonflikt, denn ohne Konflikt gibt es keine Geschichte. Das spannende am Mehr-Generationen-Roman ist auch: das sich über die Jahre verändernde Umfeld und die nicht immer sich mitentwickelnden Menschen.

Das Konfliktpotential steckt also in den Figuren?
Die wichtigsten Figuren gut zu charakterisieren, das hilft beim Schreiben eines schönen Romans. Ich empfehle zu überlegen, welche Werte die einzelnen Familienmitglieder vertreten. Im Seminar werden wir uns dazu auch den gesellschaftlichen Kontext genauer anschauen. Interessant ist zum Beispiel, welcher sozialen Schicht die einzelnen Familienmitglieder angehören, ob es vielleicht einen Milieuwechsel zwischen der Eltern- und der Kindergeneration gibt. Wichtig ist auch, die sozialen Machtstrukturen anzuschauen. Außerdem sollte man wissen, welche Fähigkeit zur Reflektion die verschiedenen Figuren haben. Eine Person, die nicht in der Lage ist, über sich selbst nachzudenken, reagiert natürlich anders als eine, die sich mit ihrem Handeln immer in Frage stellt.

Bei einem Mehrgenerationen-Roman kommen schnell viele Figuren zusammen. Ist es sinnvoll, sich da zu beschränken, damit es übersichtlich bleibt?  
Hierzu gibt es meiner Meinung nach keine allgemeingültige Antwort. Das hängt von so vielen Faktoren ab. Die eine jongliert ungeniert mit vielen Figuren, dem anderen liegt eher ein Kammerspiel mit zwei Personen. Das gilt es auszutarieren, vielleicht auch auszuprobieren. Figuren brauchen eine Funktion im Text. Für den einen Roman kann es sinnvoll sein, einen Stammbaum zu entwickeln. Dann muss ich aber auch in der Lage sein, eine auftretende Person in nur einem Satz zu charakterisieren. Mit wenigen Protagonisten zu arbeiten und diese anhand ihres Charakters und ihrer Entwicklung als Brennglas für Hintergründe zu benutzen, kann ein genauso guter Weg sein.

Gudrun Hebels Online-Schreibkurs „Der Familienroman – Spiegel unserer Gesellschaft“ beginnt am 11. Januar. Hier geht es zur Anmeldung.

Gudrun Hebel studierte Skandinavistik, Slavistik und Politologie. 1998 gründete sie die „agentur literatur“. Parallel zur Autorenbetreuung übernimmt sie Lehraufträge unter anderem an der FU Berlin und der Business School Berlin; zudem war sie Jurorin und Mentorin bei den Bücherfrauen. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit als Geschäftsführerin der Agentur liegt auf der Betreuung von deutschen und skandinavischen Autorinnen und Autoren sowie auf der Koordination der Auslandslizenzen.