„Schreiben querfeldein und ohne Ziel“

Foto: Janine Messerli

Lektorin und Schreibcoach Beate Schäfer über gute Tipps und hemmende Regeln, über Spaziergänge, neue Schreiborte und warum zielloses Schreiben unbedingt zur künstlerischen Arbeit gehört.

„Freies Schreiben“ heißt Ihr Online-Kurs bei der Textmanufaktur. Das hört sich erstmal nach etwas Selbstverständlichem an. Machen Autorinnen und Autoren das nicht sowieso, frei schreiben?
Das wäre schön – Glückwunsch an alle, die das so empfinden.
In der Praxis gibt es viel, was den freien, weiten Raum des Schreibens einengt und die eigene Schreibstimme behindert. Erstmal so simple, offensichtliche Sachen wie Zeitstress oder Verlagsvorgaben, dann die ewige Frage, welches Thema, welches Genre, welcher Stil wohl Erfolg verspricht und Veröffentlichungschancen hat. Auch ganz andere Dinge können den Schreibprozess knirschen lassen: Glaubenssätze, eingefahrene Gewohnheiten, Selbstzweifel, abstrakte Maßstäbe, ungute Schreibsituationen. Dadurch kann der Flow schon immer wieder arg in Stocken geraten.       

Es ist ja zunächst gut, wenn man weiß, wie Texte funktionieren, wie man zum Beispiel Dialoge gestaltet, Spannung aufbaut. Kann dieses Wissen auch den gegenteiligen Effekt haben und uns hemmen?
Ja, das Handwerkliche ist nützlich, gute Tipps und Schulungen in diesen Dingen bringen viel. Aber wenn uns der Kopf darüber eng wird, wenn Schreiben zur Technikübung mutiert, wenn uns bei der Arbeit dauernd jemand über die Schulter zu schauen scheint, der sagt: So nicht, mach das anders, das ist falsch, du hast doch im letzten Kurs gelernt, wie man das richtig macht – das ist enorm hinderlich.

Wie kann ich dem entgegenwirken?
Es gilt genau zu unterscheiden, wann handwerkliche Hinweise erhellend sind, wann sie Schreibkönnen vertiefen und Texte weiterbringen, und wann das Gegenteil von alldem passiert. Neues lernen und vorankommen macht Spaß. Wenn Freude und Schreibfluss dagegen durch Einreden erstickt werden, ist das fatal.

Schreibregeln immer gleich mitzudenken, ist das eine Art Berufskrankheit von Autorinnen und Autoren?
Meinem Eindruck nach ist das extrem unterschiedlich. Es gibt Schreibende, bei denen ist das tatsächlich so, die kommen vor lauter Regelbedenken nicht zu etwas Eigenem. Denen möchte ich salopp gesagt manchmal gern die Brille absetzen und die Haare verstrubbeln. Andere sind freie Kinder und spielen gern, das ist toll. Wobei zum Spielen auch Regeln gehören und manche Regeln herrlich abstrus und befreiend sein können. Die Frage ist auch hier: Welche Regeln befruchten, welche hindern uns daran, Neues und Eigenes zu entdecken, und machen Texte gleichförmig und steril? Sicher gibt es auch einen gewissen Eifer, Halt zu suchen im Lernen und Befolgen von Regeln. Wichtig finde ich, mit der Zeit eine ganz persönliche Peilung zu finden: Was taugt mir und wie will ich schreiben?  

Was kann helfen, wieder in den Fluss zu kommen, freier zu werden?
Sich regelmäßig Zeit nehmen für verspieltes, entdeckendes Schreiben – Schreiben querfeldein und ohne Ziel, jenseits von festen Projekten. Neue Schreiborte ausprobieren. Verrückte Schreibexperimente machen. Dem Abenteuern Raum geben. Spazieren gehen statt am Schreibtisch festkleben. Außerdem können alltagsbegleitende Schreibprojekte hilfreich sein: Tagebuch, Morgenseiten, solche Dinge. Wichtig ist, sich klarzumachen: Auch Schreiben, das nicht auf Veröffentlichung zielt, gehört existenziell zur künstlerischen Arbeit.

Wie viel Regeln und wie viel Freiheit brauche ich, wenn ich ein Buch schreiben will?
Wer nur spielt und frei schreibt statt zu plotten und zu planen, wird bestimmt keinen Krimi zustandebringen und auch keinen historischen Roman – die Möglichkeiten unterscheiden sich je nach Genre sehr. Aber egal in welchem Genre: Es geht gar nicht darum, unentwegt frei zu schreiben und ganze Texte in diesem Modus zu verfassen. Es wird immer ein Nebeneinander verschiedener Formen nötig sein, Phasen des Sich-Treibenlassens und Ausprobierens wechseln ab mit Phasen planvollen Schreibens und reflektierten Überarbeitens. Das freie Schreiben hilft, wenn der Prozess zäh oder der Text leblos und langweilig wird. Es gibt Selbstvertrauen, Energie und individuelle Farbe und ist meiner Überzeugung nach der Boden für alles andere – aber sicher nicht das Ganze. Zumindest dann nicht, wenn es dem oder der Schreibenden ums Veröffentlichen geht. 

Die Verlage und Feuilletons sind immer auf der Suche nach „einer neuen Stimme“ oder dem „besonderen Ton“. Hilft freies Schreiben auch, den eigenen Ton zu finden?
Das ist für meine Begriffe das Wichtigste überhaupt am freien Schreiben: dass es hilft, die eigene Stimme zu entwickeln. Aber Achtung: Wer dabei unmittelbar auf Verlage und Feuilletons schielt, behindert sich wieder durch eine Zweck- und Erfolgsorientierung, die alles konterkariert, worum es hier geht, und den Prozess sehr wahrscheinlich stören wird.  

Wenn ich meinen Ton dann gefunden habe, wie bewahre ich ihn mir beim Schreiben über die lange Strecke?
Nicht aufhören mit dem Spielen, dem zweckfreien Schreiben, den versponnenen Experimenten. Immer wieder Neues ausprobieren und diesen Ton, wenn er sich eingestellt hat, nicht als feste Marke oder Besitz behandeln. – Er soll atmen und sich weiterentwickeln dürfen.

Beate Schäfers Online-Kurs „Freies Schreiben“ beginnt am 23. Februar. Hier geht es zur Anmeldung.

Beate Schäfer, früher Jugendbuchlektorin bei dtv, arbeitet heute als literarische Übersetzerin, freie Lektorin und Schreibcoach und leitet Schreibwerkstätten für Laien und Profiautoren. An der Berliner Alice-Salomon-Hochschule hat sie eine Ausbildung zur Schreibpädagogin absolviert. In ihren Workshops stehen nicht Schreibrezepte, sondern intensiver Austausch und der Dialog im Mittelpunkt.