Markus Schneider gehört zu den Gewinnern des narrativa-Schreibwettbewerbs, und das schon zum dritten Mal. Im Interview erzählt er, wie seine Arbeit als Psychotherapeut das Schreiben inspiriert und vom Glück neuer Ideen.
Markus Schneider, bei der narrativa haben Sie aus Ihrem neuen Romanprojekt gelesen. Sie waren ja nicht zum ersten Mal dabei. Waren Sie trotzdem noch aufgeregt?
Auf jeden Fall! Denn man weiß nie, wie sich ein Text beim Vorlesen vor Publikum plötzlich verändert. Passagen werden zäh oder schnell, lustig oder berührend, was ich alleine am Schreibtisch noch gar nicht so erlebt habe. Das ist eine spannende Erfahrung, bei der meine Wahrnehmung sich auf unterschiedlichen Ebenen abspielt. In lese, höre mir gleichzeitig zu und beurteile, was ich da höre und die Resonanz, die es erzeugt. Deswegen: Aufregung, aber eine freudige Aufregung!
Worum geht es in Ihrem Text?
Es geht um einen jungen Mann, der seine verschwundene Schwester wiederfindet und sich eingestehen muss, dass er zwar mit ihr eine Kindheit und Jugend geteilt hat, sie aber trotzdem nicht richtig kennt, und er muss ihre Geschichte ganz neu und anders erzählen. Es geht also im Kern um diese Ungeheuerlichkeit, dass wir mit Menschen sehr eng zusammenleben können und es doch so viel gibt, von dem wir nicht die geringste Ahnung haben.
Sie sind Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche. Schlägt sich das auch im Schreiben und speziell in diesem Text nieder?
In meiner Arbeit sind mir einige solcher Geschichten begegnet. Extreme Erlebnisse und psychisches Leid, wovon Eltern, Freunde, Verwandte oder eben auch Geschwister fast nichts mitbekommen. Ich suche schon lange nach Wegen, das literarisch gut zu verpacken; dafür war mir die Perspektive des Bruders wichtig. Ich hoffe sehr, dass ich nun in dem Roman eine gute Form für das Thema gefunden habe.
Sie sind berufstätig, haben einen Sohn. Wann finden Sie im Alltag neben Job und Familie ihre Schreibzeit?
Ich beantworte diese Frage an einem Donnerstagvormittag, und das ist kein Zufall. Der Donnerstag ist mein klinikfreier Tag, mein Sohn ist in der Schule, meine Frau bei der Arbeit – und ich sitze am Computer und tippe. So ist das donnerstags bei mir.
Wie hat sich das Schreiben für Sie im Laufe der Jahre verändert?
Seitdem ich in der Pubertät mit schlechten Liebesgedichten angefangen habe, hat sich hoffentlich viel verändert, jedenfalls lasse ich die Finger von Lyrik. Vor einigen Jahren habe ich mir eine Schreibgruppe gesucht, und seitdem arbeite ich daran, eines Tages etwas zu veröffentlichen. Da ist viel zu tun, bis irgendwann hoffentlich alles soweit stimmt, dass sich meine ernsten Themen auf eine unterhaltsame und tragikomische Weise erzählen lassen – und jemand das lesen möchte.
Ein Romanprojekt braucht einen langen Atem. Was motiviert Sie zum Durchhalten?
Ich kann diese Frage, ernsthaft und unironisch, nur leicht kitschig beantworten, denn es ist genau so: Schreiben ist für mich ein Grundbedürfnis, wie essen oder trinken. Da denkt auch keiner groß drüber nach, warum man sich immer wieder ein Glas Wasser einschenkt und ein Käsebrot schmiert.
Gibt es Situationen, wo Sie alles hinschmeißen möchten?
Das Schreiben an und für sich nicht, den Wunsch, etwas zu veröffentlichen – durchaus. Jeden dritten oder vierten Tag ungefähr. Bislang habe ich jeden Text in halb fertigem Zustand immer nur an eine einzige Agentur geschickt, und wenn der dort nicht angekommen ist, habe ich mich recht schnell an einen neuen Text gesetzt. Das möchte ich meinem aktuellen Text gerne ersparen, und ich habe vor, mich dafür so lange einzusetzen, bis er irgendwo unterkommt.
Was sind die richtig tollen Momente des Schreibens für Sie?
Das ist schon das: Wenn plötzlich eine Idee auftaucht und funktioniert, und es kommt einem wie Magie vor. Es kommt scheinbar aus dem Nichts und ist dann einfach da und strahlt. Zumindest für ein paar kurze Augenblicke und ganz für mich alleine.
Markus Schneider, geboren 1980 in Stuttgart, lebt zusammen mit Frau und Sohn in Hamburg. Er studierte Erziehungswissenschaften, Philosophie und Neue Deutsche Literatur und arbeitet als leitender Psychotherapeut in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie. Veröffentlicht hat er bislang in Anthologien und Literaturzeitschriften.