„Die Zerrissenheit hat mich zum Schreiben gebracht.“

Foto: Carla De Tona

Übersetzerin und Kunstvermittlerin Dania D’Eramo über ein Leben in zwei Sprachen, ihr autofiktionales Romanprojekt und die Frage, was Heimat bedeutet.

Dania D’Eramo, Sie sind in Italien geboren und aufgewachsen. Um Ihre Herkunft geht es auch in Ihrem literarischen Text, der beim Schreibwettbewerb der Autorentagung narrativa ausgezeichnet wurde.
Ja, genau. Dieser Text ist Teil eines autofiktionalen Romanprojekts, an dem ich derzeit arbeite. Darin reflektiere ich das Verlassen meiner Heimat, das ich als immerwährenden Prozess betrachte. Ich bin vor über 20 Jahren als Erasmus-Studentin nach Deutschland gekommen. Aber erst viel später, als ich schon Kinder hatte, habe ich angefangen zu reflektieren: Warum bin ich aus Italien weggegangen und in Deutschland geblieben? Ich fühle eine gewisse innere Zerrissenheit. Und diese Zerrissenheit hat mich auch zum Schreiben gebracht. Wobei ich meine Notizen erstmal gar nicht als Teile eines Romans betrachtet habe. Es ging vielmehr darum, für mich selbst Klarheit zu schaffen.

Wann haben Sie mit dem Schreiben angefangen?
Schon als Jugendliche habe ich Kurzgeschichten geschrieben, als ich nach Deutschland gekommen bin aber damit aufgehört. Ich denke, ich war damals sehr beschäftigt mit dem Leben hier. Nach meinem Studium hatte ich als Lektorin und Übersetzerin viel mit Büchern zu tun. Meinem eigenen Schreibimpuls bin ich lange nicht nachgegangen – bis vor einigen Jahren.

Gab es einen bestimmten Auslöser, um selbst wieder zu schreiben?  
Ja, tatsächlich. Auslöser war ein Sprichwort, das meine Mutter gebraucht hat, als sie über Weihnachten hier zu Besuch war. Es gibt eine italienische Mentalität, die sehr stark von Aberglauben geprägt ist. Sprichworte haben vor allem auf dem Land oft großen Einfluss auf das Denken der Menschen. Das Wetter war wunderschön, und meine Mutter sagte: „Wenn Weihnachten schön ist, wird es Ostern sehr kalt.“ Sie war deswegen verstimmt. Den anderen Gästen zu übersetzen und zu erklären, dass ein Sprichwort der Auslöser für diese Verstimmung ist, das hat mich irritiert und mir diese Zerrissenheit bewusst gemacht. Ich habe die Szene später für mich notiert. Mit der Zeit kamen weitere Szenen dazu, oft ausgehend von Sprichwörtern. Ich habe angefangen, aktiv mit meinen Erinnerungen zu arbeiten und geschaut, was um die Entscheidung herum, nach Deutschland zu kommen, passiert ist. Der Nachtzug nach Bonn, das erste Mal, dass ich den Rhein gesehen habe: Das sind zum Beispiel Episoden, die mir noch sehr stark gegenwärtig sind. Ich versuche, Teilchen für Teilchen zusammenzusetzen, wie in einem Puzzle, damit schließlich ein Gesamtbild entsteht. Ob mir das am Ende etwas sagen wird, weiß ich nicht. Aber der Prozess ist spannend.

Sie schreiben auf Deutsch, nicht in Ihrer Muttersprache Italienisch. Warum?
Für die Reflektion brauche ich Abstand: Mich als Fremde in einer anderen Kultur erleben und in einer anderen Sprache, macht das Schreiben über Heimat erst möglich. Die deutsche Sprache zwingt mich, alles genauer zu betrachten, wie durch eine Lupe. Ich muss mich in die Szenen hineinbegeben und schauen: Ist es das, was ich meine? Auf Italienisch würde alles viel spontaner geschehen, dadurch würde der Text aber vielleicht auch unschärfer. 

Beim Lesen sieht man die Szenen – beispielsweise die Olivenernte an einem frostigen Morgen – bildlich vor sich. Wie gelingt Ihnen diese sprachliche Präzision?
Ich glaube, es ist kein Zufall, dass ich zwanzig Jahre gebraucht habe, um mit dem Schreiben wieder anzufangen. Vielleicht war diese Zeit nötig, um genügend Vertrauen in meine deutsche Sprache zu haben. Auch der Austausch mit anderen ist mir wichtig. Mein Mann schreibt auch und lektoriert meine Texte. Das ist notwendig, denn es geht auch um kleine Nuancen. Ich greife vielleicht zu einem falschen Synonym, das die Bedeutung etwas verschiebt. Auch durch die Rückfragen während des Lektorierens bin ich gezwungen, mich mit den Begrifflichkeiten sehr genau auseinanderzusetzen und zu überlegen, welches Wort wirklich das passende ist.

Welche Rolle spielt das Schreiben in Ihrem Alltag?
Eine immer größere, auch durch die Textmanufaktur. Vor drei Jahren habe ich dort meinen ersten Kurs belegt. Daraus ist eine tolle Schreibgruppe entstanden, mit der ich immer noch im engen Austausch bin. Der Kurs war für mich eine wichtige Erfahrung, um sagen zu können: Jetzt schreibe ich und mache das auch ernsthaft. Das heißt, ich versuche mir im Arbeitsalltag immer wieder die Zeit dafür zu nehmen. Das ist oft schwierig, aber für mich ist das Schreiben jetzt nicht mehr aus meinem Leben wegzudenken.  

Wie geht es mit Ihrem Romanprojekt weiter?  
Ich habe jede Menge Notizen, und jetzt geht es darum, sie in einen literarischen Text umzuwandeln. Dieses Jahr möchte ich mein Buch zu Ende schreiben und werde mich dann bei Agenturen bewerben.   

Dania D’Eramo, geboren 1973 in Italien, studierte Anglistik und Germanistik in Perugia und Bonn. Nach einem Volontariat in einem Buchverlag arbeitete sie als Lektorin und Übersetzerin und gibt heute auch Kunstkurse und Schreibwerkstätten für Kinder und Menschen mit Fluchterfahrung. Sie lebt mit ihrer Familie in Bonn.