Julia Latscha ist eine der Gewinnerinnen beim narrativa Schreibwettbewerb. Im Interview erzählt sie vom intuitiven Schreiben, ihrem Romanprojekt und warum es darin um das oft verdrängte Thema der Euthanasie geht.
Julia Laschta, seit wann schreiben Sie?
Definitiv noch nicht seit meiner Kindheit, sondern vielleicht seit 2014. Da habe ich einen Schreibkurs belegt und ausprobiert, wie sich das Denken formulieren lässt. Als ich mit einer Freundin und meinen Kindern in die Mongolei gereist bin, war wir klar: Diese spannende und überwältigende Reise wird die Grundlage für mein erstes Schreibstück. Es hat dann zwei Jahre gedauert, weil ich so viel verarbeiten musste. Die Reportage, die schließlich im SZ-Magazin erschienen ist, erzählt von dem Leben mit meiner schwer behinderten Tochter Lotte. Die Reise hat sich als Rahmenhandlung angeboten. So konnte ich Einblicke in eine Lebenswelt geben, vor der viele vielleicht zurückschrecken, weil sie ihnen fremd ist.
Anschließend haben Sie ein Buch über das Leben mit Ihrer Tochter veröffentlicht, „Lauthalsleben“.
Als die Reportage erschien, kamen diverse Anfragen von Verlagen, ob ich aus der Reisegeschichte nicht ein Buch machen will. Aber die Essenz dieser Reise steckte bereits in der Reportage. Stattdessen habe ich über unser Leben geschrieben, die täglichen Herausforderungen. Es war total schwierig für mich, mit so einer persönlichen Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Aber es war einfach an der Zeit, genau davon zu erzählen. Ich wollte diese Nische verlassen, in der sich Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige in unserer Gesellschaft befinden. Am meisten Spaß hatte ich beim Schreiben der fiktionalisierten Passagen. Auch wenn sie nicht genauso passiert sind, drücken sie in der Essenz genau das aus, was ich gefühlt habe. Das war für mich der Ansporn, mit einem Roman zu beginnen.
Wie finden Sie im Alltag mit Ihrer schwer behinderten Tochter Zeit zum Schreiben?
Meine Tochter ist inzwischen 20 und lebt seit vier Jahren in einer Wohngruppe. Als sie ausgezogen ist, dachte ich: Toll, jetzt ist alles möglich. Aber dann kam erstmal der freie Fall. Ich wusste überhaupt nicht mehr, wer ich eigentlich bin, weil ich in der intensiven Care-Arbeit jahrelang vollkommen verschwunden war. Ich bin ganz schön aufs Gesicht gefallen, auch psychisch. Als ich durch diese Dunkelheit hindurch war, habe ich begriffen: Jetzt muss ich für mich sorgen. Ich habe meinen sehr herausfordernden Job bei einer Stiftung gekündigt und mich selbstständig gemacht. Finanziell bin ich glücklicherweise so aufgestellt, dass dieser Schritt möglich war. Jetzt arbeite ich als Texterin für inklusive Einrichtungen, als Coach in der Friedensarbeit und schreibe an meinem Roman. Das Schreiben bringt mir tiefe innere Freude, es ist meine Lebensausrichtung, das, was mich nach vorn zieht.
Steht die Handlung Ihres Romans schon?
Ich bin überhaupt keine Plotterin. Stattdessen habe ich Szenen und Umfeldbeschreibungen aufgeschrieben, die mir in den Sinn kamen. Bestimmte Ereignisse wurden dann plötzlich sehr präsent und haben mir gezeigt, wohin der Weg gehen könnte. Nun habe ich das Gefühl, dass die Grundidee steht und ich meinen Schreibton gefunden habe. Wenn ich das jetzt lese, kann ich erkennen: Wo bin ich authentisch und wo nicht. Das hilft mir sehr weiter.
Geht es auch in Ihrem Romanprojekt um das Leben mit Behinderung?
Inklusion spielt darin jedenfalls eine Rolle. Ich habe mich gefragt, warum unsere Gesellschaft noch immer so behindertenfeindlich ist, nach allem, was im Nationalsozialismus passiert ist. Ich habe viel dazu recherchiert, bin auch zu Orten gefahren, in deren unmittelbarer Nähe ich aufgewachsen bin, ohne davon zu wissen. Als Setting für meinen Roman nutzte ich das Milieu meiner Kindheit: die 1980-er Jahre im Taunus, einem finanziell wohlhabenden Umfeld. Es bildet den Hintergrund, vor dem ich mich der Euthanasiegeschichte nähere. Auch in meiner Kindheit wurde viel darüber geschwiegen. Aus dieser Dunkelheit heraus entwickle ich meine Geschichte. Es geht mir darum, Licht da hineinzubringen und anders davon zu erzählen, aus der Perspektive eines Kindes, aber mit dem, was ich heute weiß.
Was haben Sie mit Ihrem Romanprojekt vor?
Mit der Recherche und den Gedanken zu dem Projekt bin ich seit ungefähr eineinhalb Jahren beschäftigt. Vergangenes Jahr habe ich mich bei der Textmanufaktur für das Fernstudium Prosaschreiben angemeldet. Das begleitende Lektorat, die Vorträge und Studienbriefe helfen mir sehr dabei, dranzubleiben und regelmäßig zu schreiben. Jetzt will ich mich für zwei Stipendien bewerben, für die ich ein Exposee und eine Textprobe einreichen muss. Das werde ich nutzen, um mit meiner literarischen Agentur über das Projekt zu sprechen. Innerhalb eines Jahres will ich eine erste Rohfassung schreiben. Und ich habe das Gefühl, dass am Ende ein Buch dabei herauskommt.
Julia Latscha, in Hürth Hermühlheim geboren und im Taunus aufgewachsen. Nach einer Berufsausbildung zur Physiotherapeutin in Hamburg studierte sie an der Humboldt-Universität in Berlin Philosophie und deutsche Literatur. Sie schreibt Reportagen, Artikel, Hörbücher und poetische Texte. 2017 erschien ihr erstes Buch Lauthalsleben bei Droemer und Knaur. Julia Latscha lebt mit ihrer Familie in Berlin.