„Ich kann nicht mehr fiktionalisieren.“

Gabi Hift, Schauspielerin, Regisseurin, Autorin und Gewinnerin beim narrativa-Schreibwettbewerb, über Theater und Psychiatrie, wahres Schreiben und das Memoir über ihren jüdischen Vater.

Gabi Hift, Sie haben Schauspiel studiert, aber auch Psychologie und Medizin, wo Sie außerdem promoviert haben. Wie kamen Sie von der Medizin zur Kunst?
Das war eine Schlaufe, die auch mit dem Text zu tun hat, den ich bei der narrativa vorgestellt habe. Er ist Teil eines Memoirs über meinen verstorbenen jüdischen Vater. Mein Vater, ein Holocaust-Überlebender, war Psychiater an der Wiener Universitätsklinik, so dass ich mit der Psychiatrie aufgewachsen bin. Ich fand es immer großartig, was mein Vater macht. Aber wirklich begeistert hat mich schon als Schülerin das Theaterspielen. Direkt nach der Matura wurde ich zur Aufnahmeprüfung am Max Reinhardt Seminar eingeladen und bin am letzten von drei Prüfungstagen durchgefallen. Meine Eltern waren ohnehin dagegen, dass ich Theater mache. Und mir war klar, dass sie mir keine andere Theaterschule bezahlen würden. Daher habe ich angefangen, Medizin und Psychologie zu studieren und bin nebenbei auf eine private Schauspielschule gegangen.
Als ich mit dem Studium anfing, wurde gerade die Affäre um Heinrich Gross publik. Er war im Nationalsozialismus Tötungsarzt in der so genannten Jugendfürsorgeanstalt „Am Spiegelgrund“, die zur Wiener psychiatrischen Anstalt „Am Steinhof“ gehörte. Nach dem Krieg hat er dort noch einmal richtig Karriere gemacht und war außerdem Gerichtsgutachter. Das zu erfahren, war für mich ein Schock, zumal die Klinik ja zum Universitätsklinikum gehörte, wo mein Vater arbeitete. Ich habe mich dann mehrere Jahre intensiv in der Psychiatrie-Bewegung engagiert und mein Medizin- und mein Schauspielstudium ungefähr gleichzeitig abgeschlossen. Schließlich habe ich mich aber fürs Schauspiel entschieden – und mich daraufhin mit meinem Vater furchtbar zerstritten.

Wann kam zum Schauspiel das Schreiben dazu?
Nach dem Studium habe ich in Deutschland an verschiedenen Stadttheatern gespielt und bald auch Regie geführt. Schon damals sind kurze Texte entstanden, das lief so nebenher. Als in den 2010-er Jahren meine eigene Theatergruppe in Berlin in die Brüche ging und keine interessanten Regieaufträge in Aussicht waren, änderte sich das. Ich habe angefangen, mich mit meiner ganzen Person aufs Schreiben zu konzentrieren, habe Drehbücher und Auftragstexte für Anthologien geschrieben. Dann kam von einem Verlag die Anfrage für eine Weihnachtsgeschichte. Eigentlich war das absurd, weil ich ja aus einer jüdischen Familie komme. Aber tatsächlich habe ich meine Eltern – wie viele andere jüdische Kinder auch – praktisch gezwungen, Weihnachten zu feiern. Ich wollte auch den Baum, die Geschenke, all das. Also habe ich den Auftrag angenommen und daraufhin die erste Geschichte geschrieben, die etwas mit meiner Familie und mir zu tun hatte, auch wenn es kein explizit autobiographischer Text war.

Ihre Arbeit am Theater und die als Autorin – in welchem Verhältnis stehen die zueinander?
Bei beidem setze ich mich mit Sprache auseinander. Wenn ich Schnitzler oder Brecht lese, die ich beide sehr liebe, lerne ich dabei sozusagen automatisch. Bevor ich intensiv mit dem Schreiben begonnen habe, war der Selbstausdruck nur in Zusammenarbeit mit anderen und durch die Texte anderer möglich. Bei einem Autor oder eine Autorin, die mich berührt, habe ich das Gefühl, die Wahrheit des Textes zu erfassen. In der eigenen inneren Auseinandersetzung und der Arbeit zusammen mit den Schauspielerinnen und Schauspielern entsteht daraus etwas, das für sich eine großartige Berechtigung hat. Dieses Gefühl der Berechtigung habe ich bei meinem eigenen Schreiben selten. Ich genüge mir selbst nicht als Instanz, um zu entscheiden: Ist das wahr oder nicht? Und wenn es nicht hundertprozentig wahr ist, darf ich es dann überhaupt sagen? Darum bin ich glücklicher, wenn ich inszeniere.

Wie ist die Idee entstanden, autobiographisch über ihren Vater und ihre Familie zu schreiben?
Mit dieser jüdischen Weihnachtgeschichte habe ich die Büchse der Pandora geöffnet. Denn mein Vater hat sie mir sehr übelgenommen. Der Streit mit meinem Vater, die jüdische Vergangenheit und die Auseinandersetzung mit der Psychiatrie waren für 25 Jahre weit weg gewesen – und dann war plötzlich alles wieder da. In dem Moment ist mir klar geworden, dass ich nicht mehr zurückkann und darüber schreiben muss. Ich habe einen Roman begonnen, in dem es um jüdische Eltern und Kinder, um jüdische und nichtjüdische Familien geht. Als vor eineinhalb Jahren mein Vater gestorben ist, habe ich gemerkt: Ich kann nicht mehr fiktionalisieren. Denn hinter der Fiktionalisierung verschwindet für mich die echte Erinnerung. Darum habe ich die Arbeit am Roman unterbrochen und schreibe nun an einem Memoir über meinem Vater. Ich versuche, beim Schreiben so ehrlich und wahrhaftig zu sein, wie es mir möglich ist.

Welche Pläne haben Sie mit dem Memoir?
Der Text wird ungefähr 250 Seiten umfassen, das meiste Material gibt es schon. Nur das Ende weiß ich noch nicht. Wenn ich das geschrieben habe, wird das Memoir hoffentlich als Buch erscheinen. Und vielleicht kann ich dann, wenn es fertig ist, wieder zu meinem Roman zurückkehren.

Gabi Hift, geboren 1958 in Wien, ist Regisseurin, Schauspielerin und Autorin. Sie studierte Schauspiel, Medizin und Psychologie und promovierte in Medizin. Sie war Ensemblemitglied am Volkstheater in Wien, am Kleist-Theater Frankfurt/ Oder und am Staatstheater Schwerin. Als Leiterin der Gruppe Hift & Niederkirchner realisierte sie eigene Theaterprojekte. Seit 2002 lebt sie als freiberufliche Regisseurin und Autorin in Berlin.