„Kriminalliteratur hat das Potential, die Probleme zu sezieren.“

Zoë Beck (c) Marlene Charlotte Limburg

Die Schriftstellerin Zoë Beck erzählt, warum Krimis sich so gut zur Gesellschaftskritik eignen, weshalb der eigene Ton so wichtig ist und gibt Tipps für die Verlagssuche.    

Zoë Beck, in Ihren Krimis greifen Sie gesellschaftliche Themen auf, denken Entwicklungen weiter. Eignet sich das Genre, um auf soziale und politische Missstände aufmerksam zu machen?
Unbedingt. Es ist vielleicht das beste Genre, um gesellschaftskritische und politische Themen zu bearbeiten. Es geht ja meist nicht nur um die Psyche eines einzelnen Menschen, der aus irgendwelchen Gründen einen Mord begeht, oder um die Aufklärung mit möglichst vielen falschen Fährten; es geht um sehr viel mehr als ein vermeintliches Einzelschicksal, nämlich Gesellschaftsstrukturen, die diese Schicksale erst bedingen und ohne die es vielleicht gar nicht dazu gekommen wäre. Und dahinter stehen auch oft politische Entscheidungen, manchmal weiter im Hintergrund, aber immer noch deutlich sichtbar. Sogar vermeintlich simple Rätselkrimis mit klischeehaften Figuren erzählen häufig viel über gesellschaftliche Konventionen.

Wie gelingt Gesellschaftskritik mit den Mitteln des Krimis?
Mord ist eine Grenzüberschreitung. Da wurden Menschen zum Äußersten getrieben. Um zu erzählen, wie und warum es dazu gekommen ist, oder auch, was diese Gewalttat für das betroffene Umfeld bedeutet, kann man gesellschaftliche Strukturen beleuchten, in neue Milieus eintauchen … Ich denke, es ist mindestens interessant, aber auch wichtig zu zeigen, was die jeweilige Gesellschaft mit den Individuen macht. Kriminalliteratur hat das Potential, die Probleme, die uns beschäftigen, zu sezieren, Schicht für Schicht.

Über Ihr 2020 erschienenes Buch „Paradise City“ schrieb ein Rezensent, der Roman lasse sich in keine Genre-Schublade stecken. Wieweit muss man sich beim Krimischreiben an Genrekonventionen halten und wo kann man sie auch mal außer Acht lassen?
Das Genre ist so vielfältig und hat so viele Subgenres, dass man da gar nicht von allgemein notwendigen Konventionen sprechen kann oder sollte. Natürlich muss ein Verbrechen im Mittelpunkt stehen. Und es sollte eine gute Geschichte sein, mit einer stimmigen Dramaturgie und interessanten Figuren. Es sind insofern in weiten Teilen dieselben Anforderungen wie an jeden guten Roman, egal um welches Genre es sich handelt.

Sie recherchieren für Ihre Bücher sehr intensiv. Was ist Ihnen dabei wichtig?
Die Plausibilität der Geschichte. Das Ausloten von Themen, von mehreren Seiten draufzuschauen. Außerdem lerne ich dann immer wieder etwas Neues, was mich interessiert. Und während der Recherche entstehen natürlich Ideen für Erzählstränge und Figuren.

Welche Rolle spielt die Sprache für Sie beim Krimischreiben?
Sprache ist ebenso wichtig wie die Figuren, der Szenenablauf, die gesamte Dramaturgie … Wenn ein Text sprachlich holpert, höre ich auf zu lesen, selbst wenn die Story interessant wirkt. Die Sprache muss passen, zu der Person, die den Text schreibt, wie auch zur Geschichte und den Figuren. Eine eigene Sprache, den eigenen Sound zu finden ist eine der wichtigsten Aufgaben für alle, die schreiben. Ich persönlich bin zum Beispiel keine Freundin von Pomp und Schnörkeln. Ich finde auch nicht, dass sich ein gut geschriebener Text durch lange, komplizierte Schachtelsätze mit vielen Fremdwörtern auszeichnet. Das kann ein passendes Stilmittel sein, in der richtigen Geschichte zum richtigen Zeitpunkt, oder um eine Figur zu charakterisieren, wenn man aus ihrer Perspektive erzählt. Aber genau das ist der Punkt: Wann benutze ich welche Sprache, wann kommuniziere ich wie. Einiges ist natürlich Geschmackssache. Allgemein finde ich, dass man auf den Klang achten muss, da hilft es, den Text auch mal zwischendurch laut zu lesen. Stimmt der Rhythmus, die Melodie?

Die Nachfrage nach Krimis ist groß, die Zahl der jährlichen Neuerscheinungen auch. Wie stehen die Chancen für Debüt-Autorinnen und -autoren, sich in diesem Segment zu etablieren?
Natürlich kann es ratsam sein, sich am Markt zu orientieren, man sollte ohnehin sehr viel lesen – möglichst nur Bücher, die man sehr gut findet; was man nicht gut findet, sollte man rasch beiseitelegen. Und man sollte schauen, was es schon gibt, was andere machen, was das Genre so alles zu bieten hat. Aber das heißt nicht, dass man auf irgendwelche vermeintlichen Erfolgsrezepte schielen muss. Jede Erfolgswelle ebbt irgendwann ab, und dann ist was Neues gefragt. Deshalb: Herausfinden, was man selbst gut kann und will. Nicht versuchen, die x-te Kopie eines Bestsellers zu sein, sondern eine eigene Marke. Wenn es dann heißt: „Das suchen die Verlage gerade nicht!“, ist es möglich, dass sie es ein Jahr später suchen. Genauso gut kann es sein, dass die Lektorate das Talent einer Person erkennen und dann sagen: „Okay, dieser Stoff ist vielleicht gerade nichts für uns, aber lass uns an anderen Projekten zusammenarbeiten, wir finden nämlich toll, wie du schreibst!“

Was würden Sie jemandem raten, der jetzt als Krimiautorin oder -autor starten will?
Mein grundsätzlicher Rat an alle, die mit ihrem Manuskript auf Verlagssuche gehen wollen: Sucht euch erst eine Agentur. Agentinnen und Agenten wissen, was gerade gefragt ist, mit wem man reden muss, welcher Verlag zu welchem Stoff passt. Und die Wahrscheinlichkeit, dass ein Manuskript geprüft wird, ist höher, wenn es von einer Agentur eingereicht wird. Abgesehen davon haben Agenturen noch weitere sehr große Vorteile. Beispielsweise, wenn es konkret um die Vertragsverhandlungen geht.

Online-Workshop mit Zoë Beck: „Krimi – Zwischen Spannung und Ästhetik“, am 1. und 2 April 2023

Zoë Beck, geboren 1975, schreibt, übersetzt und leitet zusammen mit Jan Karsten den CulturBooks Literaturverlag. Sie studierte englische und deutsche Literatur unter anderem in Gießen, Bonn und Durham und arbeitete an Theatern und beim Film. Bis heute ist sie als Dialogbuchautorin und Synchronregisseurin tätig. Seit 2004 arbeitet sie auch als freiberufliche Schriftstellerin und literarische Übersetzerin. Ihre Romane und Kurzgeschichten wurden vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Krimipreis, schafften es auf diverse Besten- und Bestsellerlisten und wurden bisher in zwölf Sprachen übersetzt.