Im Interview spricht Rowohlt-Vertriebsleiterin Imke Schuster über den Buchmarkt in all seinen Facetten: Es geht um kleine Läden, Bücher und Bratpfannen, um das Potenzial von E-Books, überzeugende Cover und den Zauber von gedruckten Vorschaukatalogen.
Imke Schuster, Sie sind Vertriebsleiterin beim Rowohlt Verlag. Welche Rolle spielt in Ihrer Arbeit das Online-Geschäft – und wie wichtig sind heute die Buchhandlungen vor Ort?
Für mich hat der stationäre Buchhandel ein großes Gewicht, denn dort arbeiten Menschen, die sich für Bücher begeistern. Und die damit Bücher groß machen können. Auch wenn sich der Markt verändert, es gibt sie ja nach wie vor: Die kleinen, inhabergeführten Buchhandlungen, die von einem Buch 50 bis 100 Stück verkaufen können, einfach über ihre Begeisterung und durch das Vertrauen ihrer Kunden. Und auch bei vielen Filialisten, also Buchhandelsketten, arbeiten engagierte Menschen. Damit ein Buch wirklich Erfolg hat, müssen auch die dahinterstehen. Ein Händler wie Amazon dagegen, der macht kein Buch groß. Der kann gut disponieren, hat eine leistungsstarke IT. Aber Amazon begeistert sich nicht für ein bestimmtes Buch und bewirbt es, einfach weil es toll ist.
Als gelernte Buchhändlerin haben Sie in kleinen Läden ebenso gearbeitet wie bei großen Filialisten. Außerdem kennen Sie das Geschäft mit Großkunden aus Ihrer Zeit bei der Verlagsgruppe Bastei Lübbe. Dort haben Sie einige Jahre lang unter anderem Amazon betreut. Was haben Sie da gelernt?
Erstmal war es schon verstörend zu sehen, dass Bücher für Amazon lediglich eine Ware sind, wie eine Bratpfanne oder Haarspray. Aber statt schockiert auf Amazons Wachstum zu schauen, hätten wir als Branche uns schon viel früher fragen sollen, warum so viele Menschen dort kaufen. Amazon ist extrem schnell und serviceorientiert. Dass auch im stationären Buchhandel ein Titel innerhalb von 24 Stunden bestellt werden kann, dass wir gebundene Ladenpreise haben, wie hoch das Servicelevel im stationären Handel ist, das hat die Branche lange nicht ausreichend kommuniziert. Und manche Kunden haben auch eine Schwellenangst bei kleineren Buchläden. Sie befürchten, schief angekuckt zu werden, wenn sie nach Unterhaltungsliteratur fragen. So einen Dünkel vonseiten der Händler finde ich völlig fehl am Platz und dieser ist zum Glück inzwischen so gut wie ausgestorben.
Nicht nur der Buchhandel, auch die Arbeit im Verlag wird digitaler. Lange war die gedruckte Vorschau extrem wichtig, also der Katalog, der alle neuen Titel des Halbjahres vorstellt. Welche Rolle spielt der heute noch?
Ich bin jetzt Mitte 50 und bezweifle, dass ich das Ende der Papiervorschauen in meinem Berufsleben noch mitbekomme. Die Auflagen der gedruckten Kataloge sind nicht mehr so hoch, aber es gibt sie nach wie vor. Als Vertrieblerin ärgere ich mich, dass die Kosten insgesamt gestiegen sind. Denn wir produzieren jetzt die digitale Vorschau und daneben noch die gedruckte. Als Büchermensch und Urgestein der Branche freue ich mich aber jedes Mal, wenn die Papiervorschauen hier im Verlag ankommen – unsere eigenen und die von anderen Verlagen. Es ist immer wieder aufregend, sie in den Händen zu halten und durchzublättern.
Die Programmkonferenz ist ein wichtiger Termin im Verlagsjahr. Das Lektorat stellt dort zweimal jährlich das neue Programm vor. Haben diese Konferenzen angesichts von Zoom und digitalem Vertrieb an Bedeutung verloren?
Die Zeiten, wo ein Außendienstteam ein Cover oder sogar einen Titel auf der Konferenz komplett kippt, sind nach meiner Einschätzung schon lange vorbei. Das hängt damit zusammen, dass sich die Arbeit im Verlag verändert hat. Schon lange bevor wir uns zur Vertreterkonferenz zusammensetzen, arbeiten wir im Hause mit vielen kompetenten Leuten an einem Titel. Der Vertrieb, aber auch das Marketing und die Presseabteilung stehen im intensiven Austausch mit dem Lektorat und sind sehr früh in Entscheidungsprozesse eingebunden, beispielsweise beim Cover. Darum ist alles schon sehr weit ausgreift, wenn es auf der Konferenz präsentiert wird. Aufgrund von Corona waren die Konferenzen der vergangenen Jahre bei uns digital. Das läuft inzwischen sehr professionell, aber es fehlt auch etwas: die Gespräche in den Pausen, das gemeinsame Essen. Daher freuen wir uns alle, wenn wir hoffentlich bald wieder persönlich zusammenkommen.
Was braucht ein Buchcover, um im Handel Erfolg zu haben?
In meiner Zeit als Buchhändlerin habe ich tolle Bücher empfohlen und verkauft, auch wenn das Cover nicht ansprechend war. Heutzutage wird überall weniger beraten, da muss das Cover für sich sprechen. Für den Online-Verkauf gilt das sowieso.
Wichtig ist, dass das Cover zum Genre passt. Wenn Sie gern Agatha Christie lesen, müssen Sie ein Cosy Crime auf den Krimitisch auch sofort als solches erkennen können. Ein gutes Cover sollte ein Hingucker sein und einen Wiedererkennungseffekt haben. Natürlich sollte man auch immer mal wieder etwas Neues ausprobieren, sonst wäre es ja langweilig. Aber wenn das Cover komplett an der Zielgruppe vorbeigeht, wird das schwierig.
Und wie sieht es mit E-Books aus? Die sind nach wie vor eher ein Randphänomen, oder?
Nein, überhaupt nicht! Bezogen auf den Gesamtumsatz eines Verlags haben E-Books zwar einen wesentlich geringeren Anteil als gedruckte Bücher. Vor allem bei literarischen Titeln spielen die E-Books keine so große Rolle. In der Genreliteratur sieht das anders aus. Einige Bücher im Bereich Krimi oder Frauenunterhaltung verkaufen wir zu 50 Prozent als E-Books, gerade bei kleinen Titeln im Genre sind es im Laufe der Zeit 30 bis 40 Prozent. Und das Allerschönste ist, dass es keine Remittenden gibt, also keine Rücksendungen aus den Buchhandlungen an die Verlage.
Auch bei E-Books spielt Amazon mit seinem E-Reader Kindle ja eine große Rolle. Ist das ein weiterer Schlag gegen den stationären Handel?
Ich finde es erstaunlich, was dem stationären Buchhandel mit dem Tolino gelungen ist. Als die Tolino-Allianz den E-Reader auf den Markt brachte, hätte ich nicht zu hoffen gewagt, dass sich so viele Händler anschließen. Heute hat Tolino einen großen Marktanteil. Oft ist es in der Branche ja eher ein Gegeneinander, auch darum finde ich diesen Zusammenschluss so großartig. Und wie man ein Buch liest, ob gedruckt oder elektronisch, spielt doch letztlich keine Rolle. Hauptsache, die Menschen lesen und begeistern sich für Literatur. Jeder, der liest, ist erstmal mein Freund.
Imke Schuster ist ausgebildete Buchhändlerin und war nach verschiedenen Stationen im Sortimentsbuchhandel auch Etagenleiterin Belletristik im Kulturkaufhaus Dussmann in Berlin. Sie wechselte 2007 in den Außendienst von Bastei Lübbe und war ab 2011 als Key-Account-Managerin für den Kölner Verlag tätig. Ab 2014 leitete Imke Schuster Vertrieb und Marketing des DuMontBuchverlags, bis sie im Frühjahr 2021 die Vertriebsleitung bei Rowohlt übernahm.