„Ich bin ein miserabler Trendscout.“

Volker Jarck, Foto (c): Marion Koell

Volker Jarck spricht über seine Arbeit als Autor und Lektor, wie ihn die Zeit als Programmleiter geprägt hat und warum er Schreiben als großes Glück empfindet.

Volker Jarck, Sie waren viele Jahre Lektor und Programmleiter im Fischer Verlag, zuletzt Verlagsleiter Belletristik bei Ullstein. Inzwischen sind Sie freiberuflicher Autor und Lektor. Warum haben Sie das Verlagsgeschäft hinter sich gelassen und sich für die Freiberuflichkeit entschieden?
Weil mein holpriger Optimismus dann doch größer war als die existenziellen Zweifel. Ich bin froh um die Erfahrungen und Begegnungen aus meiner Verlagszeit, vor allem bei Fischer, und jetzt blicke ich eben mit einer für mich wohltuenden Distanz auf das Business, kann mich mehr auf Geschichten als auf Tabellen, Datenbanken und Deckungsbeiträge konzentrieren. Das Beste ist, dass ich nun die Möglichkeit habe, freie Zeit frei zu nutzen – nicht zuletzt für Bücher, die ich lesen will, anstelle von Manuskripten, die ich prüfen muss.

Sie schreiben jetzt Bücher, die andere lektorieren und ins Programm nehmen. Fällt Ihnen dieser Rollenwechsel schwer?
Nein, es ist ja ein großes Glück und Privileg, schreiben und veröffentlichen zu können. Dank einem tollen Verlag und einer großartigen Lektorin habe ich gern die Seiten gewechselt.

Als Lektor und Autor arbeiten Sie an fremden und an eigenen Texten. Gehen Sie anders an fremde Geschichten heran, seit Sie selbst schreiben und veröffentlichen?   
Ich hoffe, dass sich mein Verständnis für die Denk- und Arbeitsweise der Autorinnen und Autoren im Schreibprozess weiterentwickelt hat. Als Lektor muss und will ich mich erst mal zurücknehmen, um dann idealerweise helfend eingreifen zu können. Ich glaube, ich mache einerseits inzwischen mehr konkrete Formulierungsvorschläge und kann andererseits aus den stilistischen Entscheidungen, die eine Autorin oder ein Autor trifft, viel mehr Erkenntnisgewinn ziehen.

Wie beeinflusst das Lektorieren Ihr eigenes Schreiben?
Ich lektoriere mich permanent und finde meine Einwände je zur Hälfte super und doof. Lese Schreibratgeber und sage mir, diesen und jenen Punkt solltest du auch mal beachten, und dann schreibe ich doch wieder drauf los, weil es Spaß macht, einfach der Geschichte und der Sprache zu vertrauen. Und weil schließlich meine Lektorin mich definitiv besser lektorieren kann als ich selber.  

Als ehemaliger Programm- und Verlagsleiter kennen Sie sich im Markt aus, wissen, welche Themen und Stoffe gefragt sind. Denken Sie so etwas mit, wenn Sie Plotideen entwickeln und mit dem Schreiben eines Romans anfangen?
Sollte ich womöglich, habe ich wohl bisher nicht, fällt mir eher schwer. In der Belletristik erkennt man Trends meist anhand erschienener und zahlreich verkaufter Bücher. Daran dann anzuschließen beziehungsweise daraus den nächsten vermeintlich vermarktbaren Diskurs abzuleiten, würde die Kreativität eher einschränken. Ich fürchte, ich bin ein miserabler Trendscout, weil mich Figuren mehr interessieren als Themen.   

In „Robuste Herzen“ geht es um drei Geschwister, um neue Anfänge und die Frage, was Heimat bedeutet. Sie sind zurück ins norddeutsche Otterndorf gezogen, wo Sie aufgewachsen sind. Ist die alte Heimat, mit der wir viele Erinnerungen und Geschichten verbinden, ein guter Ort zum Schreiben?
Pathetische Antwort: der beste, der einzige Ort. Pragmatisch-ehrlichere Antwort: Den allergrößten Teil dieser Heimat-Geschichte habe ich noch in Köln geschrieben, und weil die mit Gefühlen verbundenen Erinnerungen wichtiger sind als Recherche, hat sich das Manuskript bei der Überarbeitung nicht mehr grundlegend verändert. Für das Schreiben allgemein finde ich diese gut belüftete norddeutsche Idylle gerade ideal. Vielleicht muss ich irgendwann aber auch mal wieder eine Plot-Idee in einem Hotelzimmer oder Großraumwagen festhalten.

Bei der Textmanufaktur geben Sie ab November den Online-Kurs „Wie Geschichten beginnen“. Was macht die ersten Sätze für Autorinnen und Autoren so schwierig?
Schwierig erscheint der erste Satz vor allem, wenn man ihn als ersten schreiben will und dann auch noch auf Anhieb perfekt. Ein Textbeginn soll so vieles leisten und bietet dabei zugleich maximalen poetischen Freiraum. Diese Ambivalenz finde ich als Autor, Lektor und Dozent reizvoll und bin schon sehr gespannt auf die Beiträge der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Haben Sie einen Tipp, wie man als Debütantin oder Debütant an den Anfang eines Textes herangehen kann?
Unperfekt. Lesen Sie ganz viele Geschichtenanfänge, um ein Gefühl für die Möglichkeiten zu bekommen, und behandeln Sie den eigenen ersten Satz wie einen Arbeitstitel. Und falls Sie sich dann irgendwann zwischen zwei fantastischen Anfängen nicht entscheiden können, nehmen Sie einen davon als Schlusssatz …

Volker Jarck, geboren 1974, ist Lektor und Autor. Nach dem Studium der Literatur- und Theaterwissenschaft in Bochum hat er in Frankfurt am Main und Berlin bei großen Buchverlagen gearbeitet, sowohl im Sachbuch- als auch Belletristik-Lektorat. Volker Jarck lebt, schreibt und lektoriert seit dem Frühjahr 2021 in seiner norddeutschen Heimatstadt. Im August 2022 erscheint sein zweiter Roman „Robuste Herzen“ bei Fischer.