„Meine Figuren leben in zwei Welten.“

Nassir Djafari erzählt, warum er mit 67 Jahren Romanautor wurde, wie Deutschland und Iran sein Schreiben prägen und was Luftwurzel-Literatur ist.      

Nassir Djafari, aktuell ist Ihr zweiter Roman „Mahtab“ erschienen. Wie schon Ihr erstes Buch wurde es vom Sujet Verlag veröffentlicht. Wie sind Sie zu diesem kleinen Bremer Verlag gekommen?
Natürlich habe ich mein erstes Manuskript zunächst mehreren Verlagen angeboten. Beim Sujet Verlag war ich dann erfolgreich. Das mag daran liegen, dass ich den Verleger – der wie ich gebürtiger Iraner ist – bereits persönlich kannte und dass meine Bücher dort thematisch gut ins Programm passen.   

Der Verlag veröffentlicht „Luftwurzel-Literatur“, liest man auf der Website. Was kann ich mir darunter vorstellen? 
Gemeint sind Bücher von Menschen, die mehrere kulturelle Identitäten haben. Die von ihrer Herkunftskultur geprägt sind und ebenso auch von der Kultur des Landes, in dem sie leben. Hinter dem Begriff steht der Gedanke, dass man die Frage der Identität und der Heimat heute nicht mehr immer eindeutig beantworten kann.

Sie leben seit Ihrem fünften Lebensjahr in Deutschland. Wie prägen die iranische und die deutsche Kultur Ihr Schreiben?
Ich wurde schon in Deutschland eingeschult, habe hier studiert. Das hat mich geprägt. Aber auch meine Herkunftsfamilie und mein Geburtsland wirken natürlich in mein Schreiben hinein. Die Figuren in meinen Romanen sind Menschen, die in Deutschland leben, aber iranische Wurzeln haben. Mein aktueller Roman spielt im Frankfurt der 1960er Jahre. Im Mittelpunkt steht eine Frau, die zehn Jahre zuvor mit ihrem Mann und ihren Kindern aus dem Iran nach Deutschland eingewandert ist. Geprägt durch die tradierten Moralvorstellungen ihrer Mutter, sieht sie sich mit den Herausforderungen des modernen westlichen Lebens konfrontiert und muss ihren eigenen Weg finden.  

Ist Luftwurzel-Literatur die neue Exil-Literatur?  
Früher hat man gesagt, ein Exilant ist jemand, der sein Land verlassen hat, weil er dort aufgrund der politischen Verhältnisse nicht mehr schreiben konnte. Ich denke, diese eindeutige Zuordnung ist heute nicht mehr möglich. Viele der großen Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus dem globalen Süden und Osten leben heute in den Metropolen der westlichen Welt. Sie schreiben in Nordamerika oder Europa, aber sie erzählen Geschichten aus ihren Herkunftsländern. Oder sie schreiben über Figuren, die in beiden Welten leben. Hinzu kommt das Phänomen der Migration. Oft schreiben junge Autorinnen und Autoren, die der zweiten oder dritten Einwanderungsgeneration angehören, über die Herkunftsländer ihrer Eltern. Sie bringen Elemente aus verschiedenen Kulturen zusammen und schaffen damit etwas Neues.

Viele Autorinnen und Autoren tun sich mit ihrem zweiten Buch besonders schwer, stehen unter Druck oder sind verunsichert. Wie war das bei Ihnen?
Das ging mir nicht so. Unsicher war ich eher beim ersten Buch. Daran habe ich viele Jahre gearbeitet, größtenteils neben meiner Berufstätigkeit. Weil ich zuvor noch nie einen Roman geschrieben hatte, habe ich mich beim Schreiben schon manchmal gefragt, ob mir das gelingen wird. Der zweite Roman ging mir dann leichter von der Hand. Ich begann damit und war schon mit der Rohfassung fertig, noch bevor ich für das erste Buch einen Verlag gefunden hatte. Kurz vor der Veröffentlichung habe ich mich dann natürlich gefragt, ob es den Leserinnen und Lesern gefallen wird. Dieses Gefühl kennt wahrscheinlich jeder Autor, jede Autorin.

Woher haben Sie die Motivation genommen, gleich weiterzuschreiben als das erste Manuskript fertig war?
Das Schreiben hat mir große Freude gemacht. Es ging mir nicht darum, dass ich in meinem Leben unbedingt einen Roman veröffentlichen wollte, sondern ich habe für mich selbst geschrieben, aus einem inneren Drang heraus. Es war einfach das, was ich machen wollte.

Als Ihr erster Roman erschien, waren Sie 67 Jahre alt. Für ein Debüt ist das recht spät. Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?  
Ich habe schon immer gern geschrieben. Während meines Berufslebens als Volkswirt in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit habe ich viele Fachartikel verfasst. Meine Frau Anita Djafari hat mir dann vor zehn Jahren einen Schnupperkurs für kreatives Schreiben geschenkt. Für mich war das eher ein Gag, weil ich mir nicht vorstellen konnte, neben meinem Berufsleben auch noch einen Roman zu schreiben. Aber das Seminar lief gut, und der Dozent hat mich ermutigt weiterzumachen. So entstand über mehrere Jahre hinweg mein erster Roman.

Für Ihren zweiten Roman haben Sie an der dreiteiligen Textwerkstatt Romanentwicklung der Textmanufaktur teilgenommen. Wie hat das Ihr Schreiben beeinflusst?   
Für mich war es sehr hilfreich, über einen Zeitraum von einem Jahr immer wieder Textproben vorzulegen und Rückmeldungen zu bekommen. Das Gesamtkonzept des Romans stand zu dem Zeitpunkt schon. Es ging dann eher um die konkrete Arbeit am Text und an den Figuren. Der Austausch hat mich bewogen, denn Text immer nochmal zu bearbeiten und zu verfeinern. Nun arbeite ich seit fast zwei Jahren an meinem dritten Roman. Mal sehen, wie lange es noch dauert.

Nassir Djafari, 1952 in Iran geboren, lebt seit seinem fünften Lebensjahr in Deutschland. Er studierte in Frankfurt Volkswirtschaftslehre und war in verschiedenen Funktionen in der deutschen und internationalen Entwicklungszusammenarbeit tätig. Djafari hat zahlreiche Fachartikel und Buchbeiträge über die wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen in Entwicklungs- und Schwellenländern verfasst. „Eine Woche, ein Leben“ (2020) war sein erster Roman, „Mahtab“ (2022) sein zweiter.