Internationaler Buchmarkt: „Bewährtes und neue Stimmen gefragt.“

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Suhrkamp-Lektorin Sabine Erbrich sagt, wo deutsche Romane im Ausland Erfolgsaussichten haben, welche Rolle die Verkaufszahlen spielen und warum auch Bücher jenseits großer Trends den internationalen Durchbruch schaffen können.    

Sabine Erbrich, Sie sind Lektorin für Internationale Literatur bei Suhrkamp. Wie finden Sie anderssprachige Bücher für Ihr Programm?
Der übliche Weg führt über den Kontakt zu Agenturen oder Verlagen. Ich kümmere mich im Lektorat der Internationalen Literatur insbesondere um die romanischen Sprachen. Daher bin ich eng im Austausch mit beispielsweise französischen, italienischen oder brasilianischen Verlagen und Agenturen. Außerdem fahren wir auf internationale Messen. Für sehr „umkämpfte“ Märkte gibt es Scouts, die Manuskripte zu einem früheren Zeitpunkt erhalten und schnell reagieren können. Sie werden von Agenturen und Verlagen noch vor den offiziellen Versendungen versorgt und stehen auch teils direkt in Kontakt mit Autorinnen und Autoren. Es kommt auch vor, dass uns Übersetzer oder befreundete Lektorinnen internationaler Verlage Titel empfehlen. Oder dass wir beim Lesen internationaler Presse oder auf Reisen in Buchhandlungen auf etwas Neues stoßen.

Wie entscheiden Sie anhand der Originalausgabe, ob ein Buch für Ihr Programm in Frage kommt?  
Bei uns im Lektorat herrscht eine erfreulich große Vielsprachigkeit, so dass wir das Gros der später veröffentlichten Texte im Original lesen können. Wo das nicht möglich ist, arbeiten wir mit Scouts und mit einem Netzwerk aus externen Gutachterinnen und Gutachtern.

Wie läuft es für deutschsprachige Autorinnen und Autoren, die auf den internationalen Markt wollen? Führt der Weg da auch über Verlage, Agenturen, Scouts?
In der Regel schon. Die meisten Autorinnen und Autoren übertragen sinnvollerweise ihrem deutschen Verlag die Weltrechte an ihren Büchern. Die größeren deutschsprachigen Verlage haben kompetente Rechteabteilungen, die sich um den Lizenzverkauf kümmern. Kleinere arbeiten oft mit internationalen Agenturen zusammen. Wer noch keinen Verlag hat, könnte versuchen, den Kontakt über eine Übersetzerin herzustellen, die eine Probeübersetzung anfertigt und diese bei den internationalen Verlagen oder Agenturen anbietet. Als Autorin oder Autor selbst tätig zu werden, ist aus meiner Sicht eher ungewöhnlich. Das internationale Lizenzgeschäft ist stark professionalisiert, da läuft vieles über lang eingespielte Kontakte. Es ist in jedem Falle hilfreich, die Verlags- und Agenturlandschaft des jeweiligen Landes sehr gut zu kennen und zu wissen, wem man was anbietet und welche Titel wo durchgesetzt werden können.    

Gibt es bestimmte Märkte, die für deutschsprachige Romane erfolgversprechender sind als andere?  
Das hängt davon ab, wie man Erfolg definiert. Grundsätzlich sind natürlich größere Märkte interessant, aber es kann für Autorinnen und Autoren auch gewinnbringend sein, eine bestimmte Reichweite zu erlangen, indem man auf Übersetzungen in „kleineren“ Märkten setzt. So werden sie zu Festivals, Messen und Buchpräsentationen eingeladen und können dort hilfreiche weitere Kontakte knüpfen. Davon können Autorinnen und Autoren mitunter mehr profitieren als von einer Übersetzung in einem der einflussreicheren Märkte. Grundsätzlich ist aber ein Abschluss in einem der englischsprachigen Länder von Vorteil, denn in dem Fall kann die englische Übersetzung wiederum in anderen Ländern angeboten werden. Es wird, vielleicht mit Ausnahme der Niederlande, in sehr wenigen internationalen Lektoraten Deutsch gelesen, insofern hilft die englische Übersetzung – oder zumindest eine englische Probeübersetzung – immens.

Muss ein deutschsprachiger Roman erst einmal hierzulande erfolgreich sein, damit er international überhaupt eine Chance hat?
Es ist natürlich einfacher, wenn man sagen kann: Der Roman hat den Deutschen Buchpreis gewonnen und stand wochenlang auf der Bestsellerliste. Wenn es bereits internationale Vertragsabschlüsse gibt, ist das ebenfalls von Vorteil – wobei sich Verlage dann auch dafür interessieren, an wen der Titel außerdem verkauft wurde, um zu sehen, ob es Verlage mit ähnlicher programmatischer Ausrichtung und Affinität sind. Und natürlich ist die mediale Resonanz wichtig: Gibt es nationale oder sogar internationale Pressestimmen? Verlage denken bei der Akquise jenseits der genuinen Begeisterung für einen Text auch immer schon die Präsentation des Buches mit. Eine umfangreiche oder hymnische Presse, Preise und präsentable Verkaufszahlen sind in diesem Sinne für den Handel natürlich kräftige Argumente. Aber es gibt auch Gegenbeispiele. Manche Bücher setzen sich ohne vorherige Erfolgsgeschichte durch. Das kann daran liegen, dass sie ein Thema aufgreifen, das gerade einen Nerv trifft. Oder es handelt sich ganz einfach um einen sehr besonderen und reizvollen Text, dem man sich nicht entziehen kann.

Was muss ein Roman inhaltlich mitbringen, um international Interesse zu wecken?  
Das lässt sich pauschal natürlich nicht beantworten. Aber es gibt ein paar Parameter, die man nennen könnte: Einerseits sind Lektorinnen und Lektoren immer auf der Suche nach neuen Stimmen. Man ist an Innovation interessiert, möchte eigensinnige Texte finden, neue Formen. Andererseits gibt es bestimmte Gegenwartstendenzen, die sich herausbilden und über einen gewissen Zeitraum auch halten. Annie Ernaux oder Édouard Louis haben in Frankreich autosoziobiografische Bücher vorgelegt, die auch international für Resonanz gesorgt haben, und so bieten daraufhin französische Verlage und Agenturen gezielt Titel an, die in eine ähnliche Richtung gehen. Natürlich können Bücher auch durch politische Gemengelagen und Debatten auf verstärktes Interesse stoßen. Wir halten beispielsweise die Weltrechte an dem Werk des ukrainischen Autors Serhij Zhadan, dessen Roman Internat“ im Donbass spielt. Im Kontext des Ukraine-Kriegs hat er eine bittere Aktualität erlangt und wird nun von internationalen Verlagen vermehrt angefragt. In jedem Fall muss ein Roman aber aus sich heraus überzeugend sein. Schon beim Schreiben auf den internationalen Markt zu schielen – ich würde denken, das geht nicht auf.

Sabine Erbrich lebt in Berlin und ist Lektorin für Internationale Literatur im Suhrkamp Verlag. Sie studierte Romanische Literaturwissenschaft in Regensburg, Madrid und Berlin. Neben der Verlagsarbeit übersetzt sie aus dem Französischen, Englischen und Spanischen.