„Es spielt keine Rolle, ob jemand schon veröffentlicht hat.“

© DAS GRAMM

Patrick Sielemann ist Verlagslektor und gibt nebenbei ein Literaturmagazin heraus. Hier erzählt er, wie es dazu kam, wen er ansprechen will und welche Geschichten er sucht.

Seit Anfang des Jahres erscheint Ihre Literaturzeitschrift „Das Gramm“.  Wie läuft es bisher? 
Mittlerweile hat das Magazin knapp 2.000 Abonnentinnen und Abonnenten, jeden Tag kommen neue dazu. Damit habe ich fürs erste Jahr nicht gerechnet, zumal ich das Projekt ja „nur“ nebenher betreibe und eingeschränkte Kapazitäten für Pressearbeit oder Ähnliches habe. Umso mehr freut mich die große Aufmerksamkeit, die das Magazin erhält.

Hauptberuflich arbeiten Sie als Lektor im Verlag Kein & Aber. Wie Sind Sie auf die Idee gekommen, eine Literaturzeitschrift herauszugeben?
Ich frage mich als Lektor ständig, wie man die Leute erreicht, die vielleicht sonst nicht so viel lesen. Auch wenn wir es nicht immer wahrhaben wollen, aber diese Gruppe ist riesig. Ich habe gehört, dass 14 Millionen Menschen das Revival von Wetten dass …? gesehen haben. 14 Millionen! Wenn sich ein Buch 1 Million Mal verkauft, gilt das als ein Wahnsinnserfolg.  „Das Gramm“ ist – klar – für Menschen, die gern lesen. Aber das Magazin geht eben auch auf Leute zu, die das nicht so oft tun – sei es, weil ihnen ein Buch zu lang ist oder weil sie die Fülle an Veröffentlichungen überfordert oder weil ihnen manche Bücher schlicht zu langweilig sind. Meine Hoffnung ist, dass auch ein Teil derjenigen, die am Samstag die Show gesehen haben, sich für „Das Gramm“ interessieren könnten.

Jedes Heft besteht aus einer Kurzgeschichte. Ein eher ungewöhnliches Konzept, oder?
Mir ist das Konzept in ähnlicher Weise in den USA begegnet: Eine Ausgabe des Magazins „One Story“ besteht ebenfalls aus einer einzigen Kurzgeschichte und ist ebenfalls nur als Abonnement erhältlich. Das hat den Vorteil, dass die Auflagenhöhen besser berechenbar sind und dass die Kosten für einen Vertrieb im Handel komplett wegfallen. Ich meinte zu der Herausgeberin, dass das auch für den deutschen Markt interessant sein könnte, und sie sagte: „Mach es auf keinen Fall, ist viel zu viel Arbeit.“ Sie hatte recht, aber die Freude an dem Ganzen überwiegt bei Weitem.

Wie ist der Titel der Zeitschrift entstanden?
Ein Gramm ist eine kleine Einheit, das fand ich sehr passend, denn auch die Hefte haben ein eher kleines Format. Und das Wort „Gramm“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „Geschriebenes“, quasi eine Steilvorlage.

Unter den Autorinnen und Autoren finden sich einige bekannte Namen. Sollte man bereits veröffentlicht haben, wenn man sich bei Ihnen mit einer Kurzgeschichte bewirbt? 
Das Magazin möchte einen Querschnitt der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur abbilden. Es spielt keine Rolle, ob jemand schon etwas veröffentlicht hat oder nicht. Vier der sechs Geschichten aus dem ersten Jahr stammen in der Tat von Autorinnen und Autoren, die bereits Romane veröffentlicht haben, unter anderem Clemens J. Setz oder Mareike Fallwickl, aber es sind auch zwei neue Stimmen dabei, was mir ebenfalls sehr wichtig ist. Im Vordergrund steht die Qualität des Textes.

Was für Manuskripte wünschen Sie sich für „Das Gramm“?
Die Geschichten bei „Das Gramm“ sollen unterhalten, gleichzeitig sollen sie Abgründe öffnen, sie sollen zum Nachdenken anregen, zur Diskussion, sie sollen nachwirken, sie sollen einen auf eine Reise mitnehmen, die einerseits wohlig-bekannt ist, andererseits gefährlich-überraschend.

Erhalten die Autorinnen und Autoren nach Veröffentlichung ein Honorar? 
Ja, alle erhalten das gleiche Honorar, egal, wie bekannt sie sind. Es ist zwar keine Riesensumme, dafür verbleiben die Rechte bei den Autorinnen und Autoren, sodass sie die Geschichte später nochmals in einem Erzählband oder so veröffentlichen können. Es ist wie ein Vorabdruck – denn das ist die einzige Bedingung: dass die Geschichte bislang unveröffentlicht ist.  

Wie ist denn bisher das Echo aus der Buchbranche und bei den Leserinnen und Lesern?
Ich bekomme zahlreiche ermunternde Rückmeldungen aus allen Richtungen. Auch die Autorinnen und Autoren waren teilweise recht erstaunt, wie viel Feedback sie zu einer Kurzgeschichte bekommen, das haben sie so noch nicht erlebt. Das freut mich sehr und bestätigt meine Hoffnung, dass das Format funktioniert.

Und wie geht es mit der Zeitschrift weiter? So wie bisher oder wird sich etwas verändern? 
Es wird genauso weitergehen, aber natürlich mit ganz anderen Geschichten. Im Januar erscheint die nächste Ausgabe, eine sehr lustige Geschichte über Geschäftsideen zu Zeiten der Wohnungsnot. Wer sein Abo bis Ende des Jahres abschließt, startet mit diesem Heft. So ein Abo ist übrigens auch ein ziemlich gutes Weihnachtsgeschenk!

Patrick Sielemann, geboren 1982, ist seit 2012 Lektor bei Kein & Aber. Nach einem Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaften und Philosophie in Mainz war er zunächst bei den Literaturagenturen Blake Friedmann in London und Liepman in Zürich tätig, bevor auf die Verlagsseite wechselte. Seit Januar 2021 gibt er Das Gramm heraus, ein Magazin für Kurzgeschichten. Er lebt in Berlin.