„Letztlich treibt uns alle das gleiche um.“

(c) Lela Ahmadzai

Die Autorin Mariam T. Azimi über Black Lives Matter, verbindende Sehnsüchte und Wörter, die sich nicht so einfach übersetzen lassen.

Mariam Azimi, aktuell erscheint Ihr erster Roman „Tanz zwischen zwei Welten“ bei Ullstein. Es geht um eine junge Frau, die als Kind mit ihrer Familie aus Afghanistan geflohen ist und zwischen zwei Familien und zwei Kulturen nach ihrer Identität sucht. Wie ist die Idee zu diesem Buch entstanden? 
Das war eine ganz pragmatische Entscheidung. Ich habe einfach über das geschrieben, was ich am besten kenne. Ich habe die Orte gewählt, die ich am besten kenne – in Deutschland und Afghanistan – und die Lebenswelten. Daraus hat sich diese fiktive Geschichte entwickelt.

Sie selbst wurden in Kabul geboren und sind mit sechs Jahren mit Ihrer Familie nach Deutschland geflohen. Autorinnen und Autoren mit verschiedenen kulturellen Hintergründen werden ja derzeit auf dem Buchmarkt stärker beachtet, Bücher über solche Themen nachgefragt. Hat Sie das bei der Wahl des Themas oder beim Schreiben beeinflusst?
Als ich 2014 mit der Geschichte begonnen habe, waren die Black Lives Matter-Proteste noch weit entfernt. Es war gar nicht absehbar, dass ein Thema wie meines bei den Leserinnen und Lesern auf großes Interesse treffen könnte. Ältere Autorinnen of Color, die in den 1980er Jahren mit dem Schreiben begonnen haben, sind lange kaum beachtet worden. Das hat sich geändert. Zum einen gibt es eine Leserschaft of Color, die ihre Lebenswelten auch in der Literatur widergespiegelt sehen möchte. Zum anderen sind wir Menschen of Color präsenter in der Gesellschaft. Die Mehrheitsgesellschaft kann sich mehr mit uns identifizieren, hört uns zu, mehr als noch vor einem Jahrzehnt. Vielleicht liegt das an dem zunehmenden Rassismus, auch hier in Deutschland, oder daran, dass viele Menschen diese gesellschaftliche Schieflage insgesamt als bedrohlich empfinden. Denn Rassismus kommt nicht allein, er wird oft begleitet von Frauenhass und ist häufig ein Vorbote für das Infragestellen von Rechten verschiedener Bevölkerungsgruppen.

Welche Rolle können Romane wie Ihrer mit Blick auf solche politischen und gesellschaftlichen Prozesse spielen?
Mein Roman ist kein politischer. Ich habe einfach eine Geschichte geschrieben. Wenn es überhaupt eine Botschaft gibt, dann die: Letztlich treibt uns alle das gleiche um – ob wir Menschen of Color sind oder nicht. Es geht um die Frage, wo ich hingehöre, die Sehnsucht, dazuzugehören und innerlich angekommen zu sein, an einem Ort, wo man sein will. Für Menschen, die außerhalb der Mehrheitsgesellschaft stehen, ist dieser Prozess schwieriger und oft sehr schmerzhaft. Aber ich glaube, dass diese Fragen uns immer wieder einholen und es wichtig ist, darauf Antworten zu finden.

Wie sind Sie handwerklich an den Text herangegangen?
Mein erstes Seminar bei der Textmanufaktur habe ich belegt, noch ohne eine konkrete Geschichte im Kopf zu haben. Ich wusste: Ich wollte gern ein Buch schreiben. Und da reicht es nicht, sich das einfach vorzunehmen, sondern man muss es ernsthaft angehen. Sehr hilfreich waren die Rückmeldungen der anderen Teilnehmerinnen und der Seminarleiterinnen – übrigens meine spätere Agentin und meine spätere Lektorin. Handwerklich habe ich aus den Seminaren sehr viel mitgenommen, zum Beispiel ist mir da erst so richtig klar geworden, was das Prinzip „Show don’t tell“ bedeutet. Und es war ganz wichtig für mich, zu erfahren, dass ich ein Buch nicht von vorne bis hinten chronologisch aufschreiben muss. Ich hatte schon früh eine bestimmte Szene im Kopf, von der ich aber nicht wusste, wo sie im Roman hingehört. Mit dieser Szene habe ich dann einfach angefangen.

Wie prägt die Mehrsprachigkeit Ihr Schreiben?  
Ob ich anders geschrieben hätte, wenn ich nur eine Sprache sprechen würde – das kann ich gar nicht genau sagen. Meine erste Sprache ist Dari, eine der afghanischen Landessprachen. Deutsch habe ich mit sechs Jahren gelernt. Das ist die Sprache, in der ich mich am sichersten fühle. Außerdem habe ich Arabisch studiert und auch praktiziert, als ich ein Jahr in Ägypten gelebt habe. Englisch spreche ich mit vielen meiner Freunde.
Beim Schreiben meines Buches hat neben Deutsch das Dari eine wichtige Rolle gespielt. Denn wenn meine Protagonistin Wana mit ihren Eltern spricht, tut sie das in dieser Sprache. Die Gespräche entstehen in meinem Kopf auf Dari, beim Schreiben übersetze ich sie ins Deutsche. Das funktioniert nicht immer. So gibt es im Buch beispielsweise einen Dialog, wo die Mutter eine Liebesaffäre ihrer Tochter aufdeckt. Sie benutzt ein sehr abfälliges Wort, für das ich keine deutsche Entsprechung gefunden habe, denn „Liebhaber“ ist immer noch zu positiv. Darum habe ich das Wort auf Dari stehen lassen. Ich liebe es, Worte zu entdecken, die sich nicht ohne weiteres übersetzen lassen.

Mariam T. Azimi wurde 1975 in Kabul geboren und ist im Alter von sechs Jahren mit ihrer Familie nach Deutschland geflohen. In Bochum und Kairo studierte sie Islamwissenschaften, Orientalische Philologien und Pädagogik. Mariam T. Azimi arbeitet im Auswärtigen Amt und lebt mit ihrer Familie in Berlin.