„Der Antrieb zum Schreiben ist etwas Einzigartiges.“

(c) Suhrkamp Verlag

Die Schriftstellerin Deniz Ohde über ihren Roman „Streulicht“, das Dringliche beim Schreiben und warum man am besten einfach anfangen sollte.

Deniz Ohde, Ihr Romandebüt „Streulicht“ wurde begeistert besprochen und mehrfach ausgezeichnet. Was hat für Sie den Anstoß zu diesem Roman gegeben?
Zu allererst war die Szenerie da, der Industriepark, der Schnee, die Wiese am Fluss. Also würde ich sagen „der Ort“ hat den Anstoß gegeben. Dann erst haben sich die Themen hineingemischt und ich habe bemerkt, was das Dringliche hinter dieser Szenerie ist und was sie bedeutet.

Was ist das Dringliche, auf das Sie da gestoßen sind, und wie haben Sie damit weitergearbeitet?
Der Versuch, die Ursache eines Scheiterns darzustellen; die Unmöglichkeit beides gleichzeitig zu erfüllen: zu sprechen und zu schweigen.
Wie ich damit weitergearbeitet habe, kann ich nur schwer rekonstruieren. Der Drang diese Unmöglichkeit sichtbar zu machen, hat jedenfalls dazu geführt, dass die Kernkapitel sich wie von selbst geschrieben haben.

In „Streulicht“ geht es um soziale Ausgrenzung, ungleiche Bildungschancen. Wie ist es Ihnen gelungen, für solche politischen Themen eine literarische Form und Sprache zu finden?
Indem ich mir immer wieder die Frage gestellt habe, wo sich diese Themen in einem Leben zeigen, wo sie mitunter ungreifbar im Hintergrund mitschwingen, und wie sich das anfühlt. Ich habe mich immer wieder gezwungen genau hinzusehen und tief in die Situationen hineinzugehen. Solche technischen Begriffe wie „soziale Ausgrenzung“ wollte ich dabei vermeiden, um eine Art literarische Kehrseite ihrer zu schreiben.

Vor Ihrem Roman haben Sie bereits zahlreiche kürzere Texte veröffentlicht. Sind Sie an Ihren Roman ähnlich herangegangen oder vollkommen anders?
Ich bin tatsächlich ganz ähnlich herangegangen, weil ich zuerst dachte, es würde eine Kurzgeschichte werden. Dann habe ich aber gemerkt, dass es der lang ersehnte erste Roman ist und dafür formal der Bogen anders gespannt werden muss. Ich hatte erst versucht, vorher eine Dramaturgie zu konzipieren, an die ich mich dann halten wollte, aber das hat nicht geklappt. Schließlich hatte ich die Kernkapitel, die das Gerüst gebildet haben und von denen ausgehend ich die restlichen schreiben konnte. Aber ich habe bis zum Schluss Sachen im Text herumgeschoben, bis es für mich gestimmt hat.

Angehende Autoren finden viele Handbücher, Workshops und Kurse zu literarischer Sprache, Handlungsaufbau oder Figurengestaltung. Kann man literarisches Schreiben lernen?
Die größte Lernerfahrung hat für mich bei der Arbeit selbst stattgefunden. Durch den Schreibprozess des ersten Romans und durch das Lektorat habe ich das meiste gelernt, und alles Theoretische, was ich mir zuvor angesehen hatte, war zwar eine hilfreiche Stütze, aber ich habe bemerkt, dass ich mich nicht starr daran halten darf.
Ich denke, dass der Antrieb zum Schreiben etwas Einzigartiges ist, das man nicht lernen kann. Sich die Frage zu stellen, zeigt allerdings meistens, dass man den Antrieb schon hat, also alle Anlagen, die man braucht, dann kann man erst mal beruhigt sein.

Wie wichtig sind die handwerklichen Aspekte des Schreibens für Sie, wenn Sie an Ihren Texten arbeiten?
Ehrlich gesagt ist das Handwerkliche etwas, das ich zuerst aus dem Weg räumen muss und das ich erst nach dem Entwurf wieder hervorhole. Der Ausgangspunkt ist für mich die Intuition. Ohne die kommt für mich kein Text zustande. Alles, was ich je versucht habe aus einem rein analytischen Blick heraus zu schreiben, habe ich wieder weggeworfen. Das Handwerk hat in meinem Schreiben seinen Platz in der Überarbeitung.

In den Feuilletons wird oft beklagt, es gäbe heute kaum junge Autorinnen und Autoren, die „etwas Neues“ wagen. Sie selbst wurden als „starke unvertraute“ Stimme gelobt. Einen eigenen Ton finden – wie gelingt das?
Indem man sich fragt, wohin es einen wirklich zieht, und dem dann konsequent nachgeht. Indem man sich radikal selbst vertraut.

Was ist für Sie die wichtigste Voraussetzung, damit ein guter Text entstehen kann?
Ein sich aufdrängendes Bild, das ich als solches erkenne.
Und rein technisch gesehen ist es natürlich Ruhe. Und ein gesperrter Browser.

Deniz Ohde hält am 5. Juni den Abschlussvortrag zur Autorentagung narrativa.

Deniz Ohde, geboren 1988 in Frankfurt am Main, studierte Germanistik in Leipzig, wo sie heute auch lebt. 2016 war sie Finalistin des 24. open mike und des 10. poet bewegt Literaturwettbewerbs, 2017 Stipendiatin des 21. Klagenfurter Literaturkurses. 2019 stand sie auf der Shortlist für den Wortmeldungen-Förderpreis. Für ihren Debütroman „Streulicht“ wurde sie mit dem Literaturpreis der Jürgen Ponto-Stiftung 2020 ausgezeichnet. Sie erhielt den aspekte-Literaturpreis und stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2020.