Die Autorin und Lektorin Ulla Mothes spricht über den Weg von der Idee zum Plot, die Kraft des Streichens und warum ein persönliches Anliegen für eine gute Geschichte wichtig ist.
‚Darüber müsste ich mal ein Buch schreiben‘, so etwas denkt man als Autorin oder Autor öfter. Ulla Mothes, wie prüfen Sie, ob eine spontane Idee tatsächlich einen Roman trägt?
Erstmal gilt: Was auffällt, ist relevant. Und es ist auch höchst subjektiv, jedem fällt in der Regel etwas anderes auf. Ich kann dann überlegen: Warum ist mir ausgerechnet das aufgefallen? Was geht mich das an? Diese Fragen führen mich zu dem, was mich wirklich interessiert, mich berührt, also letztlich zu meinem Thema. Ob die erste Idee schließlich meine Geschichte trägt oder ob sie nur ein Detail ist, vielleicht auch gar nicht mehr vorkommt – das ist unterschiedlich.
Kürzlich, im Februar 2021, ist ihr Romandebüt „Geteilte Träume“ erschienen. Das Buch erzählt von zwei Familien in der DDR, deren Lebensgeschichten auf dramatische Weise miteinander verbunden sind. Stand da auch eine bestimmte Idee am Anfang?
Ich bin in der DDR aufgewachsen, habe einen Ausreiseantrag gestellt, wurde verhört. Später habe ich in Westdeutschland gelebt, dann im vereinten Deutschland. Einige meinten, ich solle mein Leben aufschreiben. Das wollte ich aber nicht, mir war etwas anderes wichtig: Die Stimme eines Drittels unseres Landes hat sich nach der Wiedervereinigung verloren. Diese Stimme wollte ich hörbar machen, das hat mich total interessiert. Ausgangspunkt für meinen Roman war also ein gesellschaftliches Anliegen, das etwas mit meiner persönlichen Geschichte zu tun hat. Damit daraus ein fiktiver Plot entstehen konnte, brauchte es noch einen weiteren Anstoß: Mein Verlag hat mir vorgeschlagen, einen Familienroman zu 60 Jahre Mauerbau zu schreiben. Damit war die Verbindung hergestellt zwischen meinem persönlichen Anliegen und einem Tableau – nämlich einer Familiensaga.
Wie sind Sie bei der Entwicklung des Plots vorgegangen?
Nachdem die Idee klar war, stand der Plot innerhalb von drei Tagen. Ich habe mir überlegt: Welche gesellschaftlichen Ereignisse sollen vorkommen, was war besonders einschneidend für die DDR? Den Plot habe ich entlang dieser Ereignisse entwickelt und die Lebensgeschichten meiner Figuren damit verknüpft. So ergaben sich die Geschichten der beiden Familien, um die es in dem Roman geht.
Wie gehen Sie beim Plotten vor – machen Sie sich einen Szenenplan?
Das ist unterschiedlich. Bei meinen Kinderbüchern habe ich mich, außer bei „Heimliche Rache“, einer Kriminalgeschichte, für die es einen kurzen Handlungsabriss gab, eher von meinen Figuren leiten lassen. Für „Geteilte Träume“ gab es einen groben Handlungsplan. Ich habe mir zuerst überlegt, welche Figur welches historische Ereignis wie erlebt. Daraus hat sich das Figuren- und Handlungsgefüge entwickelt. Die Szenen entstanden erst beim Schreiben.
Worauf sollte ich beim Plotten eines Unterhaltungsromans achten?
Das hängt vom Genre ab. Wer einen Krimi schreibt, muss natürlich wissen, wer der Mörder ist. Es ist wichtig, wer was zu welchem Zeitpunkt weiß und sich an welchem Ort aufhält. Daraus entsteht ein sehr eng gestrickter Plot. Beim Liebesroman ist das etwas anders. Hier überlegt man vorher zum Beispiel: Welchen Charakter haben meine Figuren, welche Hindernisse müssen sie auf ihrem Weg bewältigen? Die wenigsten werden Letzteres vor dem Schreiben schon genau wissen. – Tatsächlich ist es auch eine Typfrage, wie man vorgeht. Manche Autoren plotten sogar strukturell sehr einfache Geschichten von vorn bis hinten durch. Die schreiben dann aber vielleicht nicht chronologisch, sondern fangen zum Beispiel mit einer charakteristischen Szene in der Mitte an.
Was sollte man beim Plotten auf jeden Fall vermeiden?
Auf keinen Fall sollte man sich in einzelne Szenen verlieben. Was ich am meisten liebe, muss ich streichen. Das ist eine alte Autorenregel, die auch beim Plotten gilt. Solche Lieblingsszenen können mir dabei im Weg stehen, einen ganzen Roman zu entwickeln.
Und was halten Sie für besonders wichtig?
Bevor ich mit dem Plotten beginne, sollte ich mir darüber klar sein, was ich mit dem Buch zeigen will. Ich muss meine zentrale Aussage in wenigen Sätzen auf den Punkt bringen können. Wenn mir das gelingt, dann kann ich auch die Geschichte erzählen.
Ulla Mothes, geboren 1964, wuchs in der Mark Brandenburg und in Ostberlin auf. Als Studentin stellte sie einen Ausreiseantrag, es folgten Zwangsexmatrikulation und Ausreise 1986. In Westberlin arbeitete sie als Kulturjournalistin und machte dann ihre Liebe zum Geschichtenerzählen zum Beruf: Sie wurde freie Lektorin. Ulla Mothes schrieb Kinderbücher sowie Sachbücher zu Themen rund ums Kreative Schreiben. Im Februar 2021 ist ihr Roman „Geteilte Träume“ erschienen. Heute lebt sie als Lektorin, Autorin und Schreibcoach in Berlin.