„Ohne Konflikt gibt es keine Handlung.“

Mediatorin Tanja Degner über hölzerne und lebendige Konflikte im Roman, welche Rolle dabei Erinnerung spielt und wie Figuren realistisch streiten.    

Tanja Degner, warum sind Konflikte in der Literatur so wichtig?
Konflikte stehen im Zentrum jedes Entwicklungsprozesses. Aus psychologischer Sicht wird so ein Prozess immer durch eine Irritation ausgelöst. Das können äußere oder innere Vorgänge sein, die nicht den Bedürfnissen der Person entsprechen.

Konflikte im Roman wirken manchmal hölzern. Woran liegt das?
Der Grund dafür kann sein, dass der Konflikt im Roman sich nicht so entwickelt, wie es einem tatsächlichen Konflikt entspricht. Beim Lesen entsteht dann das Gefühl: Das ist nicht realistisch. Wenn eine Figur zum Beispiel eben noch ein Friedensangebot macht und im nächsten Moment bricht alles zusammen, dann mag das die Story pushen. Aber als Leser kommt man nicht mehr mit. Ein Konflikt sollte so gestaltet sein, dass man mitfühlen und am Erleben der Figur emotional andocken kann. Darum ist es sinnvoll, sich vor dem Schreiben mit Modellen zur Konfliktentwicklungsdynamik zu beschäftigen. Sehr hilfreich finde ich das Eskalationsstufenmodell des Konfliktforschers Friedrich Glasl. Es zeigt anhand von neun Stufen die Dynamik von Konflikten. Solche Kenntnisse helfen, die innere und äußere Ebene eines Konflikts realistisch zu beschreiben. Wenn ich ein Verständnis für diese Ebenen habe, kann ich einen Konflikt spannend entwickeln, indem ich mir klar mache: Was folgt worauf und wo will ich eigentlich hin?

Nicht alle Menschen verhalten sich in Konflikten gleich, oder?
Ja, es gibt verschiedene Strategien, wie wir mit Konflikten umgehen, von Weglaufen, über Aussitzen bis dahin, dass ich versuche, den Konflikt zu kontrollieren und mich durchzusetzen. Beim Schreiben ist es wichtig, sich über den Charakter der Figuren im Klaren zu sein. Eine zurückhaltende Person würde sich anders verhalten als eine emotionale, extrovertierte. Ich sollte mir auch überlegen, ob meine Figur prägende Vorerfahrungen gemacht hat, auf die sie in der Konfliktsituation reagiert. Oft handeln nicht aus dem Moment heraus, sondern unser Verhalten speist sich aus der Erinnerung. Geschichten, die wir schreiben – sei es im Roman oder im richtigen Leben – werden meistens dadurch gestaltet, wie eine Person auf die Welt blickt. Denn das prägt ihr Handeln.

Und mein ganz persönliches Konfliktverhalten – ist das eher hilfreich oder hinderlich, wenn ich die Konflikte meiner Figuren beschreiben will?
Erst einmal ist es hilfreich, sich über den eigenen Umgang mit Konflikten bewusst zu werden. Ich kann das in die Figuren hineinfließen lassen und den Konflikt so gestalten, wie es meinem persönlichen Erleben und Handeln entspricht. Wenn ich ein anderes Konfliktverhalten darstellen möchte, dann muss ich als Autorin einen Schritt zurücktreten und mich fragen: Wie würde sich ein Mensch verhalten, der auf diese oder jene Weise mit Konflikten umgeht? Das muss ich erst einmal für mich erlebbar und beschreibbar machen, zum Beispiel, indem ich mich mit Konfliktmodellen beschäftige oder mich in jemanden hineinversetze, den ich kenne und der anders mit Konflikten umgeht. Sehr hilfreich ist es auch, andere Menschen zu beobachten.

Funktioniert ein Roman auch ganz ohne Konflikt?
Sobald die Geschichte einen Prozess wiedergibt, ich eine Entwicklung beschreibe, beinhaltet das immer auch Konflikte. Es passiert etwas im Außen, das nicht zu dem passt, was eine Person erleben will. Daraufhin wird sie sich bemühen, entweder das Außen oder ihre innere Haltung anzupassen – oder auch beides. Ohne Konflikt gibt es also keine Entwicklung – und damit auch keine Handlung.

Tanja Degner ist Mediatorin, Beraterin, Moderatorin und Coach für Führungskräfte, in Teams und Organisationen. Als Konfliktmanagementtrainerin und Kommunikationsexpertin zeigt sie, wie wertvoll der Schritt von Konfliktdynamiken zu echtem Verständnis und kooperativen Lösungen ist.