„Musik kann Geschichten erzählen, ganz anders als mit Worten.“

Der Cellist Florian Fischer hält am 1. Oktober den Eröffnungsvortrag zur Autorentagung narrativa. Im Interview spricht er über musikalische Dramen, klingende Gedichte, Töne und Literatur.  

„Musik der Sprache – Sprache der Musik“, das ist der Titel Ihres Vortrags auf der narrativa, die in diesem Jahr online stattfindet. Was haben Sprache und Musik gemeinsam? 
Vielen Musikinstrumenten wird nachgesagt, ihr Klang käme der menschlichen Stimme sehr nahe. Mozart selbst traf diese Aussage über die Klarinette, und jeder Cremoneser Geigenbauer des 17. und 18. Jahrhunderts orientierte sich beim klanglichen Ergebnis seines Geigenbaus am menschlichen Gesang. Instrumentenklänge werden physikalisch ähnlich erzeugt und durch unser Gehör ähnlich wahrgenommen wie die Stimme. Sowohl in der Sprache als auch in der Musik ist es wichtig, einige Regeln zu beachten: Betonung, Dynamik, Geschwindigkeit und die Melodie sorgen dafür, dass ein kundiger Empfänger eine sinnvolle Struktur erkennen kann. Sprache und Musik können uns beruhigen oder erregen, aufheitern oder nachdenklich stimmen. 

Gibt es Stilmittel, die in der Musik und der Literatur gleichermaßen funktionieren? 
Der Komponist eines musikalischen Werkes bedient sich nahezu ausschließlich musikalischer Stilmittel. Aber es gibt durchaus Parallelen zur Literatur. In der so genannten Sequenz wird beispielsweise eine musikalische Idee wiederholt und dabei in der Tonhöhe verändert. Von einer Anapher – wie in der Literatur – spricht man hier zwar nicht, im Prinzip handelt es sich aber zumindest um einen eng verwandten Kunstgriff. Komponisten suchen und verstärken Gegensätze in der Musik mit verschiedensten Mitteln. Das ist spätestens seit der Wiener Klassik und dem Loslösen von einer Art Gebrauchsmusik so. Beispiele dafür sind gegensätzliche Themen, alle Arten von musikalischer Abschwächung und Steigerung oder der überraschende Einschub eines zusätzlichen Gedankens, der eine harmonische Auflösung herauszögert. Aus meiner Sicht entsprechen diese Mittel in ihrem Wesen der Antithese, der (Anti-)Klimax oder dem retardierenden Moment in der Literatur. Vor allem in der Lyrik ist die Dichte rhetorischer Stilmittel ähnlich groß wie in der Musik. Schubert allein hat durch die Vertonung von über 600 Gedichten meisterhaft bewiesen, wieviel Poesie in der Musik steckt.

Kann man mit Musik Geschichten erzählen, ähnlich wie mit Worten? 
Da wäre mir folgende Behauptung lieber: Musik kann Geschichten erzählen, aber ganz anders als mit Worten. Präzise ist sie nämlich besonders als Abbild der Gefühlswelt des Komponisten. Das gilt selbst dann, wenn dieser in einer modernen Komposition ein naturwissenschaftliches Prinzip tonal oder atonal verarbeitet. Etwas anders ist es, wenn sich der Komponist entschließt, explizit eine Geschichte zu erzählen. Wahrscheinlich schafft er dann folgende Voraussetzung: Dem Hörer ist das Thema bekannt, also zum Beispiel ein bestimmter Ort, eine Begebenheit oder eine Figur. Dann besteht die Möglichkeit, dass sich allein aus dem Hörerlebnis eine relativ eindeutige Handlung herauskristallisiert.

Was können Schriftsteller von Musikern oder Komponisten lernen? 
Das Werk eines guten Komponisten, aufgeführt in dessen Sinne von einem oder mehreren Musikern, kann sicherlich vielen Menschen als Quelle der Inspiration dienen. Das gleiche gilt ja auch für das Buch eines tollen Schriftstellers oder ein fantastisches Gemälde. Ob man sich aber ein Kunstwerk so zu Herzen nimmt, dass man daraus für die eigene Profession regelrechte Lehren zieht, dass kann schließlich nur jeder für sich selbst entscheiden.

Florian Fischer studierte an den Musikhochschulen in Hamburg und Saarbrücken. Bereits im Studium spielte er in Zeitverträgen bei den Sinfonieorchestern des Saarländischen und Norddeutschen Rundfunks. Heute ist er Mitglied im Frankfurter Opern- und Museumsorchester. Er ist gefragter Dozent für landes- und bundesweite Jugendorchester, unter anderem für die Junge Deutsche Philharmonie. Außerdem ist Florian Fischer Mitglied der kammermusikalischen Formation „Amici und der Cellist des Heygster-Quartetts.