Thomas Podhostnik über „Wir schenken uns nichts“

Martine Lombards Roman-Debüt „Wir schenken uns nichts“ ist im Rahmen des Fernstudiums entstanden und aktuell beim Mitteldeutschen Verlag erschienen. Thomas Podhostnik, selber Autor und Lektor bei der Textmanufaktur, hat die Autorin während des Studiums begleitet. Hier beschreibt er, was ihm am Roman von Lombard gefällt. 

Das Roman-Debüt der in Dresden geborenen und in Straßburg lebenden Autorin Martine Lombard schreit dem Leser ins Gesicht: Das Leben ist unerbittlich! Für dich, für mich, für alle. Triff eine falsche Entscheidung und du wirst bestraft werden. Und rede dich nicht mit dem Lauf der Geschichte heraus. Stiehl dich nicht mit der politischen Situation, den Verhältnissen, deinem Geschlecht, deiner Familie oder sonst irgendeinem unglücklichen Zufall, der deine Existenz determiniert, aus der Verantwortung. Du und keine Andere lebt dein Leben für dich!
In „Wir schenken uns nichts“ lässt uns Martine Lombard in die Innenwelt ihrer Protagonistin abtauchen, der gnadenlosen Johanna, die so unerbittlich zu sich selbst ist, wie das Leben oder besser gesagt, wie Johanna das Leben versteht, nämlich als Kampfzone. Eine Frau im Ausnahmezustand.  
Was heißt es eigentlich, sich als Frau in einem kapitalistischen System ohne Wenn und Aber behaupten zu wollen? Was kostet es wirklich, den Glücksversprechungen Karriere, Selbstverwirklichung und erfülltes Sexleben nachzujagen? 
Was Michel Houellebecq Roman für Roman an seinen männlichen Protagonisten durchexerziert, die Beschreibung eines Lebens nach dem Verlust aller Werte, zieht Martine Lombard in ihrem Roman auf eine ganz andere Art und Weise durch. Ihre Protagonistin Johanna ist keine selbstmitleidige, lebensfremde oder selbstverliebte Intellektuelle, im Gegenteil, sie ist eine Macherin. Johanna steht zu den Zielen ihres Lebens: Gewinnmaximierung, Selbstoptimierung. Ihr Anspruch ans sich ist es, die Gewinnerin zu sein. Einen zweiten Platz gibt es für Johanna nicht. The Winner Takes It All.
Was dabei alles auf der Strecke bleibt, davon erzählt „Wir schenken uns nichts“. Mit einer dichten und sich an das Materielle klammernden Sprache, die dem Charakter Johannas entspricht. Mit präzisen Beschreibungen, getragen von einer elementaren Kälte folgt Martine Lombard ihrer Heldin durch alle Untiefen ihres sich selbstverzehrenden Charakters. Der Text erzählt von einem Scheitern. Denn es ist der kalte unerbittliche Blick, der Johanna blind für das Glück macht. Aber es ist ein Scheitern mit erhobenem Haupt. Lebt ihr euer Leben so konsequent wie ich meins, dann können wir miteinander ins Gespräch kommen. Ansonsten lass uns sehen, wer am Ende gewinnt, scheint Johanna uns in jedem Moment des Textes entgegnen zu wollen, wenn wir als Leser geneigt sind ein Urteil über sie zu fällen.

Martine Lombard: Wir schenken uns nichts. Mitteldeutscher Verlag