„Dialoge sollten immer etwas offen lassen.“

Foto: Timm Kölln

Der Schriftsteller Jan Böttcher über wortkarge Norddeutsche, abgebrochene Sätze und überzeugende Dialoge.

Wie schreibe ich gute Dialoge? – Das ist ein viel diskutiertes Thema in Schreib-Ratgebern, Workshops und Seminaren. Spielen Dialoge heute im Roman eine wichtigere Rolle als früher?
Eine Tendenz vom Erzählerischen hin zum Dialogischen gibt es bestimmt über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg. Der bürgerlich-realistische Roman, ausgenommen vielleicht Fontane, hat das Dialogische noch nicht so stark in den Blickpunkt gerückt wie die Moderne. Ob das gegenwärtig nochmal zugenommen hat, kann ich schwerlich beurteilen. Ich jedenfalls bin ein großer Fan von Autoren, die dialogisch schreiben. Von Arno Schmidt beispielsweise kann man über Dialogführung viel lernen. Mich interessiert immer, wie Sätze abgebrochen, falsch fortgeführt werden.

Welche Rolle spielen Dialoge in Ihrem eigenen Schreiben?
Eine sehr wichtige. Mein aktueller Roman „Das Kaff“, der in einer norddeutschen Kleinstadt spielt, ist sehr szenisch angelegt. Da kann ich schön mit dem Norddeutschen spielen, wenn es im Dialog um Nervosität und Gemächlichkeit geht. Das Gemächliche, Wortkarge ist im Norden ja der Normalzustand. Zwei kurze Wortwechsel, mehr passiert da oft nicht. Eine norddeutsche Kindheit überlebt man nur, wenn man sich seinen eigenen Reim auf die wenigen Brocken macht, die einem hingeworfen wurden. Kurzdialoge spielen für mich deshalb bis heute eine große Rolle, etwas in vier kurzen Zeilen so zu verdichten, dass der Leser trotzdem sehr viel mehr erfährt, als die vier Zeilen einzeln genommen sagen könnten.

Es gibt auch Romane ohne Dialoge. Kann das funktionieren?
Für mich funktioniert das nicht, für andere will ich nicht sprechen. Auf diese Reibung, die entsteht, wenn der eine im Dialog den Satz des anderen nicht richtig fortführt, darauf möchte in ungern verzichten. In jedem Satz stecken ja verschiedene Ebenen: Das Persönliche, also das Aufeinander zugehen, aber auch das Appellative: Man will etwas von dem anderen. Tatsächlich kommt ja kaum ein Satz so an, wie er gemeint ist.

Braucht ein guter Dialog also einen Konflikt?
Nein, das glaube ich nicht. Wenn man sich als Autor auf den Dialog einlässt, dann bekommt der Dialog eine Funktion. Vielleicht hat man das schon vorher so angelegt, vielleicht entdeckt man die Funktion aber auch erst während des Schreibens. Ein guter Dialog ist womöglich einer, der diese Funktion gut verstecken kann oder der mehrere Funktionen hat und nicht eindeutig zeigt, welche die wichtigste ist. Es muss sich schon etwas bewegen, aber es muss keinen vordergründigen Konflikt geben. Texte, die den Konflikt sehr forcieren und eindeutig aussprechen, sind nicht unbedingt die besten.

Kann man es mit den Dialogen im Roman auch übertreiben?   
Ja, wenn man dadurch die Perspektivierung verliert. Schräg wird es zum Beispiel, wenn ich eigentlich personal oder aus der Ich-Perspektive erzähle und mir diese Perspektive im Dialog verloren geht. Die Hauptfigur sollte auch im Dialog die Hauptfigur bleiben. Manche denken: Das sind ja Stimmen, da ist jeder gleich gewichtet, aber das stimmt nicht. Beim Erzählen aus der personalen oder der Ich-Perspektive gibt es ja einen Filter, durch den ich auch den Dialog betrachte. Die Hauptfigur soll durch den Dialog von A nach B geführt werden. Ob sie dabei zum Beispiel etwas Schwere abgibt und nicht mehr ganz so autoritär ist oder ob sie naiver ist und noch weniger durchschlagskräftig, das entwickelt sich durch den Dialog.

Was braucht ein guter Dialog?
Ich mag es, wenn darin eine Entwicklung der Figur erkennbar ist. Wenn zwei Menschen überraschend zusammentreffen, verhalten die sich in den ersten fünf Minuten des Gesprächs anders als nach einer Viertelstunde. Als Leser sollte man spüren, dass entweder die Abwehr wächst oder das Vertrauen, die Sympathie oder die Antipathie. Die Figuren sollten anders aus dem Dialog hervorgehen. Das kann ich als Autor nicht nur durch eine Pointe zeigen, sondern auch, wenn sprachlich etwas zwischen den Figuren passiert. Vielleicht übernimmt der eine ab einem bestimmten Punkt das Kommando, obwohl er vorher der Passive war. Solche psychologischen Umschaltpunkte sollten Autorinnen und Autoren spüren – und am Ende des Dialogs immer etwas offen lassen, das im weiteren Verlauf des Textes wieder aufgegriffen werden kann.

Worauf sollte ich achten, damit meine Dialoge funktionieren?  
Sehr explizite Aussagen sind schwierig, zum Beispiel Fragen wie: „Liebst du mich eigentlich gar nicht?“. Dass wir so direkt gefragt werden, wird im Leben ja mit zunehmendem Alter seltener, oder? Dadurch entstehen geschlossene Dialoge, die ich fast wertlos finde. Der Leser will zwar die inneren Kämpfe der Figuren spüren, aber er will auch mitarbeiten, die Stellen mit auffüllen. Was folgen könnte, wie es weitergeht, das muss für den Leser immer schon im Dialog mitschwingen. Und ich glaube, gerade im Gespräch kann man mit Auslassungen und sprachlicher Reibung weit gehen – unsere Kommunikation per Mail, SMS und Emojis zeigt doch, dass man den Leser hier kaum überfordern kann.

Jan Böttcher, 1973 in Lüneburg geboren, lebt seit 1993 in Berlin. Mit „Das Kaff“ ist im März 2018 sein fünfter Roman erschienen. Jan Böttcher ist außerdem Texter, Sänger und Gitarrist auf vier CDs mit der Band „Herr Nilsson“ und auf einem Soloalbum.