Joachim Meyerhoff über erfundene Erinnerungen, gespielte Romane, Schreiben und Humor.
Joachim Meyerhoff, zuerst standen Sie mit Ihren Texten als Erzähler auf der Bühne, später wurden daraus Bücher. Das ist ein ungewöhnlicher Weg, oder?
Als Schauspieler brauchte ich erst einmal einen Ort, an dem ich mich zu Hause fühlte, mit dem ich vertraut war. Der Schreibtisch hat mir eher Angst gemacht. Zu sagen: Ich bin jetzt Schriftsteller, setze mich hin und schreibe, das war für mich als Vielleser ein zu großer Schritt. Aber auf der Bühne konnte ich beides: Mit den autobiographischen Texten wie in einer Rolle spielrisch umgehen, aber auch im Erfinden bleiben. Erinnerung ist vage und in Bewegung und darum für mich sehr nahe am Schauspielern. Für mich hatten die Erzählabende in ihrer Offenheit mit der Materie des Erinnerns mehr zu tun als dann später die Romane. Der Roman ist ja eine sehr sichere Form.
Angehenden Autoren wird oft geraten, viel zu lesen. Sie hat das beim Schreiben eher blockiert. Warum?
Weil mein Anspruch ins Unermessliche wuchs. Ich habe im Alter zwischen 20 und 30 irrsinnig viel gelesen und auch sehr harte Urteile gefällt. Meinem eigenen Schreiben gegenüber hatte ich nicht genug Nachsicht. Man braucht ja Nachsicht gegenüber dem, was man vermag. Es hat nochmal zehn Jahre gedauert, bis ich nachsichtig mit mir sein konnte und gleichzeitig sagen konnte: Wenn es nicht sofort das ist, was ich mir vorstelle, dann braucht es eben noch Zeit. Dann kommt ein Lektor, kommen noch andere Leute, die es lesen. Es sind ja unglaublich viele Entwicklungsschritte, die ein Text durchmacht. So wie man im Theater ein Stück probt, kann man das Schreiben im Grunde auch proben. Ich brauche immer wieder die Aufforderung, meine Texte neu zu lesen, laut zu lesen. Zwei meiner Romane habe ich komplett vor Publikum gelesen, bevor sie erschienen sind. Die Zuhörer öffnen einen Raum, machen es möglich, das Geschriebene zu überprüfen.
Ihre Bücher wirken so mühelos erzählt. War der Schreibprozess tatsächlich so leicht?
Also, man darf ja nicht sagen: Es fällt mir leicht. Die Verabredung ist ja, dass Sie sagen: Es klingt so leicht, und ich sage: Es ist so schwere Arbeit. Aber ich würde mal sagen, es ist beides. Ich denke oft sehr lange über eine Situation nach, spreche sie zum Teil auch. Und dann, wenn die Situation stimmig ist, fällt es mir oft leicht, sie zu schreiben. Aber oft ist es natürlich auch sehr schwer, dann verzweifle ich an meinen Möglichkeiten, denke: Warum bin ich so begrenzt? Wenn man vier Romane geschrieben hat, dann hat man irgendwann alle möglichen Dinge schon in irgendeiner Form getan. Aber ich suche immer nach etwas Neuem, einem neuen Ansatz. Ich will das schon auch immer weitertreiben, aber hin und wieder ist es schwer. Und hin und wieder wird man auch belohnt.
Sie hätten eine Autobiographie schreiben können oder vollständig fiktive Romane. Ihre autobiographischen Romane bewegen sich dazwischen – warum haben Sie diese Form gewählt?
Ach, wissen Sie, immer diese Genres. Die lösen sich ja auch auf, an den Rändern. Man könnte das auch autobiographisch nennen, aber bei einer Autobiographie hätte ich mich zu 100 Prozent der Wahrheit verpflichtet gefühlt. Der Roman gibt mir mehr Spielmöglichkeiten, ich kann gnadenloser erfinden. Das Fiktionale ist für mich auch eine Möglichkeit, Geschichten zu erweitern und dadurch wieder an Erinnerungen zu kommen. Über eine Geschichte, die ich erfunden hatte, hat mein Bruder gesagt: Aber das war doch genauso, so haben wir es erlebt, so erinnere ich das.
Können Sie sich vorstellen, einen Roman zu schreiben, der nichts mit Ihrer Biografie zu tun hat?
Ja klar, das würde mich auch reizen. Vielleicht wäre es eine riesige Befreiung, nicht immer „ich“ zu sagen, sondern auch mal „er“.
Welche Rolle spielt Humor in Ihren Büchern?
Das ist wie bei Rückenbeschwerden. Ein Physiotherapeut hat neulich zu mir gesagt: Mit Bewegung geht viel, ohne Bewegung geht gar nichts. Wenn man nur Tabletten nimmt, wird es nicht besser, sondern man muss mit Bewegung über diesen Schmerz rüber. Wenn der Schmerz der Abgrund wäre, dann wäre der Humor die Bewegung. Der Humor hilft, den Schmerz zu mobilisieren. – Gar nicht so schlecht (lacht) gutes Beispiel! Das macht den Schmerz erträglicher, aber das hält ihn auch lebendig. Ich brauche diesen Humor, um mit meinen Verlusten umzugehen. Das Wort Trauerarbeit habe ich immer gehasst. Mit der Trauer um Menschen, die mir nahe waren, arbeiten – das wollte ich nie. Ich wollte immer mit dieser Trauer festlich umgehen. Das Schreiben ist für mich etwas geworden, womit ich die Trauer lebendig halten kann.
Joachim Meyerhoff, geboren 1967 in Homburg/Saar, aufgewachsen in Schleswig, ist seit 2005 Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters, ab 2019 an der Schaubühne Berlin. Er ist vor allem durch seinen sechsteiligen, autobiografischen Zyklus „Alle Toten fliegen hoch“ bekannt geworden. 2007 wurde er zum Schauspieler des Jahres gewählt. Für seinen Debütroman erhielt er 2011 den Franz-Tumler-Literaturpreis und 2012 den Förderpreis zum Bremer Literaturpreis ausgezeichnet. Seine Bücher stehen regelmäßig auf der Spiegel-Bestsellerliste.