„Wir wollen Konflikte verstärken“

Stephanie Schuster gibt Seminare zum literarischen Figurenaufstellen. Im Interview erzählt sie von eigensinnigen Figuren, sprechenden Urnen und der Magie des Schreibens.

Stephanie Schuster, was machen die Autorinnen und Autoren beim literarischen Figurenaufstellen?
Die Methode ähnelt der Familienaufstellung aus der Familien- und der systemischen Therapie. Die Autorin oder der Autor wählt stellvertretend für die Romanfiguren Personen aus dem Teilnehmerkreis aus. Die erzählen dann etwas über sich, entweder intuitiv oder sie antworten auf Fragen, zum Beispiel: Wie geht es dir gerade? Was brauchst du? Oder: Was fehlt dir? Manchmal sind auch gar keine Worte notwendig. Allein die Art und Weise, wie die Figur sich im Raum bewegt, ist oft schon aufschlussreich. Der Raum steht bei der Aufstellung für den Roman oder die Geschichte.

Die Familienaufstellung ist eine therapeutische Methode, bei der einzelne Personen stellvertretend für Familienmitglieder im Raum positioniert und miteinander in Beziehung gesetzt werden. – Worin besteht der Unterschied zum literarischen Figurenaufstellen?   
Beim Familienaufstellen geht es darum, die Konflikte möglichst zu lösen. Das literarische Figurenaufstellen zielt im Gegenteil darauf ab, Konflikte zu verstärken. Vor allem Schreibanfänger neigen dazu, ihren Figuren gar keine Konflikte zuzumuten oder nur sehr harmlose. Im Seminar versuchen wir, den Charakter der Figur zu ergründen. Wie tickt die Figur? Wie würde er oder sie in der Konfliktsituation reagieren? Dabei ergeben sich oft verblüffende Wendungen, und Beziehungen zwischen den Romanfiguren werden sichtbar. Eine Autorin konnte ihre Hauptfigur zum Beispiel nicht richtig greifen, und in der Aufstellung stellte sich heraus, dass die Figur einen Konflikt mit ihrer Mutter hatte, die nie richtig für sie da war. Als die Teilnehmer, die stellvertretend die Figuren „gespielt“ haben, das aussprachen, half es der Autorin, Klarheit in ihrer Geschichte zu erhalten.

Sie sind Romanautorin und Illustratorin. Wie sind Sie zu dieser Methode gekommen?
Aus meiner eigenen Erfahrung als Autorin heraus, den Krisen und Schreibblockaden. Ich habe nach einer hilfreichen Methode gesucht und bin auf die Seminare von Christoph Altmann gestoßen. Bei ihm habe ich die Methode des literarischen Figurenaufstellens gelernt, nach der ich nun selbst arbeite. Während es in den meisten Schreibratgebern um die Technik des Schreibens geht, lässt man beim Figurenaufstellen eher die Situation und die Bilder auf sich wirken. Ich finde es hilfreich, rauszugehen, Menschen zu treffen und mich für ihre Ideen zu öffnen. Dabei entwickeln sich die Figuren oft in eine Richtung, die ich als Autorin gar nicht erwartet hätte.

Manche Anbieter von Familienaufstellungen arbeiten mit der Aura des Magischen: Da passiert etwas, das sich scheinbar nicht erklären lässt. Ist das beim literarischen Figurenaufstellen auch so?
Die Aufstellung ist genauso magisch wie das Erfinden einer Geschichte an sich. Das ist ja jedes Mal ein Schöpfungsakt. Wenn ich einen Roman schreibe, erzeuge ich Gefühle, bringe die Leserin oder den Leser zum Weinen und Lachen – ich finde das magisch. Das Figurenaufstellen ist also keine esoterische, sondern eine kreative Methode. Wir nutzen dabei die Sichtweisen und Erfahrungen der anderen Teilnehmer. Das funktioniert ähnlich wie bei einer Recherche. Da befrage ich zum Beispiel eine Krankenschwester, wenn meine Hauptfigur diesen Beruf hat. Was die reale Person erzählt, das baue ich vielleicht nicht direkt in die Handlung ein, es kann den Roman aber trotzdem entscheidend beeinflussen. Denn es verändert meine Sichtweise auf die Figur.

Wie viel Informationen brauchen Sie und die anderen Teilnehmer damit die Aufstellung funktioniert?
Wir müssen vorher nur sehr wenig wissen. Es ist nicht einmal notwendig, das Alter, den Namen und den Beruf der Figur zu nennen. Die Autorin oder der Autor kann das mitteilen, muss es aber nicht tun. Vor Beginn jeder Aufstellung führe ich mit demjenigen, der aufstellen will, ein kurzes Interview. Die anderen Teilnehmer hören zu. Die Autorin oder der Autor formuliert dann eine Frage, auf die wir mithilfe der Aufstellung gemeinsam eine Antwort finden. Sobald der Aufstellende das Gefühl hat, dass seine Frage beantwortet ist, reicht das schon. Oft sagen andere Teilnehmer, sie hätten noch viel mehr wissen wollen oder etwas ganz anderes gefragt. Aber das spielt keine Rolle. Es geht immer um die Autorin oder den Autor, der gerade aufstellt.   

Profitiert man auch von den Aufstellungen der anderen Teilnehmer?
Wenn 20 Teilnehmer da sind, hat man im Idealfall 20 Geschichten, die man mit nach Hause nimmt – ohne irgendetwas zu klauen. Denn während der Aufstellung entstehen in der Fantasie jedes Teilnehmers eigene Ideen zu einer Figur, einem Konflikt, einer Geschichte.   

Welche Aufstellung hat Sie besonders beeindruckt?
Mich beeindruckt es immer, etwas aufzustellen, das theoretisch unmöglich ist. Einmal haben wir zum Beispiel eine Urne aufgestellt, also die Asche einer Verstorbenen. Logischerweise konnte die sich nicht mal selbst bewegen. Sie hat auch nicht viel gesagt – nur eines: Dass sie zu Lebzeiten gern mehr gesagt hätte. Das half der Autorin, ihre Geschichte nochmal zu überdenken.  

Stephanie Schuster, geboren 1967, ist Schriftstellerin, Malerin und Illustratorin. Sie schreibt für große Publikumsverlage literarische und historische Romane sowie Krimis. Stephanie Schuster lebt mit ihrer Familie am Starnberger See. www.stephanieschuster.de