„Den letzten Sinn stiftet das Schreiben“

Der Autor Tobias Hülswitt über Geld und Erfolg, Sapphos Nebenjobs und warum Lohnarbeit und Schreiben zusammengehören.

„Was ist Erfolg? Oder: Wovon AutorInnen wirklich leben“, so haben Sie Ihren Vortrag beim Autorensalon der Textmanufaktur in Leipzig überschrieben. Lässt sich Erfolg, gerade bei Schriftstellerinnen und Schriftstellern, also nicht unbedingt in Euro messen?
Er lässt sich tatsächlich bei Schriftstellerinnen – die Männer eingeschlossen – überhaupt nicht in Euro messen. Zunächst einmal, weil ganz schwer zu sagen ist, was Erfolg hier eigentlich bedeutet. Ist es Erfolg, wenn mir ein Gedicht gelingt, auch wenn nur ich selbst und vielleicht eine weitere Person das Gedicht kennen? Ist es Erfolg, wenn jemand, wie etwa Fernando Pessoa, erst nach seinem Ableben als großer Autor erkannt wird? Ist es Erfolg, wenn jemand zu Lebzeiten berühmt ist und als Autorin eine Menge Geld verdient, aber schon kurz darauf vergessen ist? Oder wenn ich zu Lebzeiten zwar bekannt bin, aber keinen Pfennig mit meinem Schreiben verdiene, dafür aber noch Jahrtausende später gelesen werde, wie es für einige antike Schriftstellerinnen gilt? Geld ist nur ein limitierter Indikator für Erfolg und sagt auch nichts über die Qualität der Literatur aus.

Was verstehen Sie persönlich unter Erfolg?
Als mir einmal über 15 Jahre nach Erscheinen meines ersten Buches jemand sagte, dass dieses Buch für ihn damals eine große Bedeutung hatte, weil er sich und sein Leben darin wiederfand, hat mich das froh gemacht. Ich glaube, das ist für mich Erfolg. Wenn ich einigen Menschen etwas geben konnte, was ihr Leben besser oder intensiver gemacht oder ihnen Halt gegeben hat. Natürlich freut sich jede Schreibende, wenn sie sehr viele Menschen auf diese Weise erreicht. Aber der Erfolg bringt zugleich oft seine eigenen Schwierigkeiten mit sich, an denen nicht wenige scheitern.

Welche denn zum Beispiel?
Das zweite Buch ist immer eine Herausforderung, aber wenn das erste ein Megaseller ist, kann das die Autorin regelrecht ausknocken. J.D. Salinger ist das zum Beispiel passiert, und in Deutschland vielleicht Benjamin Lebert. Aber auch ein kleinerer Erfolg kann zum Problem werden, wenn Kritikerinnen nach guten Anfängen den großen Roman verlangen. Manchmal verlangt auch die Schreibende selbst einen solchen von sich. Ich glaube, die wunderbare Autorin Silvia Szymanski ist diesem Druck erlegen. Sie hatte zwei tolle, eigenwillige Bücher vorgelegt, und dann merkte man, dass sie versuchte, einen „richtigen“ Roman zu schreiben. Das wurde nichts, und dann ist sie irgendwann verstummt.

Manche Autorinnen und Autoren führen eine Art Doppelleben: Einen oder mehrere Jobs, die Geldbeutel und Kühlschrank füllen, und dann das Schreiben, das Sinn stiftet, aber nicht satt macht. Kann das funktionieren?
Es muss! Denn das war von Anbeginn der Literatur und durch alle Zeiten hindurch der Regelfall. Virginia Woolf hatte das Glück, von einer jährlichen Pension leben zu können, die ihr eine Tante hinterließ, sodass sie nicht jobben musste. Aber James Joyce arbeitete viele Jahre als Sprachlehrer. Mallarmé war sein Leben lang Lehrer. Pessoa war Handelskorrespondent. Thoreaux war Landvermesser, Cervantes Steuereintreiber. Sappho betrieb eine Mädchenschule und sang bei Feierlichkeiten. Und der Dichter Archilochos von Paros, der die griechische Dichtung erneuerte, war als Söldner auf den Schlachtfeldern des 7. Jahrhunderts v. Chr. zuhause. Wenn wir nicht neben unseren Jobs schreiben könnten, hätte es eine Menge Literatur nie gegeben. Nicht zu vergessen all die gelebten Erfahrungen, die in die Literatur eingeflossen sind und sie bereichert haben.

Wo sehen Sie die Schwierigkeiten bei so einem Modell?
Das Problem ist die Zeit. Wenn man viel arbeitet – und vielleicht noch Kinder hat –, bleibt manchmal wochenlang keine Zeit und keine Kraft zum Schreiben. Oder die Jobs unterbrechen die Arbeit an einem Text, der Faden reißt und wird nie wieder aufgenommen. So etwas kann passieren. Andererseits hat das Modell große Vorteile. Es bricht sich unter dem Diktat des Arbeitenmüssens nämlich nur das Bahn, was unbedingt geschrieben werden muss, und die ganze unnötige Literatur, die wir mitunter produzieren, wenn wir zu viel Zeit dazu haben, kommt gar nicht erst zu Papier. Das hat etwas sehr Gesundes. Und ich habe mein eigenes Leben, als es nur aus Schreiben bestand, irgendwann selbst als weltfremd empfunden. Das ist heute nicht mehr so.

Sie haben mehrere Romane veröffentlicht, ein Kinderbuch und einige Sachbücher. Sie organisieren Veranstaltungen, moderieren, schreiben für Zeitungen und für Unternehmen. Was füllt bei Ihnen den Kühlschrank – und was stiftet Sinn?
Am sinnstiftendsten ist auf jeden Fall das Schreiben. Ich habe vor vielen Jahren aufgehört, mich für Stipendien zu bewerben, und mich bewusst dazu entschieden, mein Geld mit Arbeit zu verdienen, wenn das Geld aus den Buchverkäufen nicht reichte. Das Arbeiten hat mein Leben sehr bereichert. Gleichzeitig habe ich bemerkt, dass ich, wenn ich gar nicht schreibe, irgendwie nur zu 80 Prozent existiere. Das ist sogar beruhigend, denn lange fürchtete ich, ich würde gar nicht existieren, wenn ich nicht schreibe. Aber fest steht, hundertprozentig am Leben fühle ich mich nur, wenn ich schreibe. Meine verschiedenen Jobs füllen zur Zeit den Kühlschrank – den letzten Sinn stiftet das Schreiben.

Und wie finden Sie neben Ihren vielen Aktivitäten die Ruhe und Zeit zum Schreiben?
Ein paarmal im Jahr gelingt es mir, einige Wochen dafür zu reservieren. Da entsteht dann nicht unbedingt ein Roman. Ich glaube, der klassische Roman, wenn es so etwas gibt, ist nicht ganz mein Format. Es sind kürzere Formen, die mir mehr liegen. Erzählungen, nichtlinear und ineinander verwoben. Kürzlich entstand sogar, ganz ungeplant, eine Erzählung in Versen. Ich glaube, sie ist gelungen, was ich als Glück und Erfolg empfinde. Auch wenn ich damit ganz sicher keinen einzigen Euro verdienen werde. Es sei denn, jemand wettet mit mir dagegen.


Tobias Hülswitt
, 1973 in Hannover geboren, ist freier Autor. Von ihm sind mehrere Romane, Sachbücher und ein Kinderbuch erschienen. Hülswitt hat unter anderem als Dozent an der Universität der Künste Berlin, an der Akademie der Künste München und als Gastprofessor am Deutschen Literaturinstitut Leipzig gearbeitet. Er war Mitbegründer des Korsakow Instituts für Nonlineare Erzählkultur.