„Bei Kinder- und Jugendbüchern haben wir einen recht stabilen Markt.“

rotfuchs-Prgrammleiterin Christiane Steen erzählt von der Angst vor Michel aus Lönneberga, warum Kinderbücher auch heute ihre Leser finden und worauf Nachwuchsautoren achten sollten.

Frau Steen, zur Buchmesse diskutiert die Branche darüber, dass ihr in Deutschland über 6 Millionen Leser verloren gegangen sind. Wie stehen in dieser Situation die Chancen für Nachwuchsautoren im Kinder- und Jugendbuch?
Interessanterweise gilt diese Entwicklung eher nicht im Kinder- und Jugendbuchbereich. Hier haben wir nach wie vor einen recht stabilen Markt, die größten Verluste an Lesern finden wir in den Altersgruppen 20 bis 35. Im Kinder- und Jugendbuch gibt es jedes Jahr eine wachsende Zahl von Neuerscheinungen, die auch gekauft werden.

Was für Sie als Programmleiterin von Rowohlt rotfuchs natürlich eine erfreuliche Situation ist.
Es freut uns sehr, das stimmt. Wir können damit rechnen, dass es die nächsten Jahre so bleibt. Aber auch bei den abgewanderten Lesern ist noch nicht ganz klar, ob der Buchmarkt sie ganz verloren hat oder nur vorübergehend. Denn auch dort, wohin es die Leser zieht, beispielsweise zu Netflix, geht es ja immer noch um das Erleben von Geschichten. Der Wunsch nach guten Geschichten hat also nicht nachgelassen. Spannend wird es für Kinder- und Jugendbuchverlage, wenn die Generation, die jetzt zwischen 20 und 35 ist, selbst Kinder hat. Wie erziehen sie ihre eigenen Kinder, spielt das Buch für sie dann wieder eine Rolle? Möchten sie, dass das Buch im Leben ihrer Kinder eine Rolle spielt? Gibt es vielleicht irgendwann sogar eine Trendwende, also eine vermehrte Rückkehr zum Buch? Das wissen wir alles noch nicht.

Also gibt es im Kinder- und Jugendbuch keinen Anlass zur Sorge?
Momentan sehe ich keinen Anlass. Was mir mehr Sorge bereitet, sind die Stoffe, die aktuell gekauft werden. Viele Eltern sind sehr vorsichtig geworden, was sich wohl eher noch verstärken wird, fürchte ich. In Amerika herrscht diese Haltung gegenüber dem Kinderbuch schon länger, aber vermehrt spüren wir es auch in Deutschland – dieses Misstrauen gegenüber Stoffen, die das Kind vielleicht ängstigen oder sonst irgendwie schaden könnten, die dem Kind zu viel zumuten oder ihm unerwünschte Themen anbieten. Das führt dazu, dass viele Eltern auf klassische Titel, die zum Teil schon in den 60er-Jahren verlegt wurden, zurückgreifen. Die Angst vor dem geschriebenen Wort ist im Kinderbuch offenbar höher als in allen anderen Bereichen. Neulich sprach ich mit einer Kollegin, die erzählte, dass ihre Freunde ihren Kindern „Michel aus Lönneberga“ nicht mehr vorlesen, weil sie Angst haben, ihre Kinder würden dadurch zu ungezogen. Dieser Trend macht mir Sorgen, denn er führt schlimmstenfalls zu einem veralteten Einheitsbrei in der Kinderliteratur, wo wir gerade in der heutigen Zeit Stoffe brauchen, die Kindern helfen, offen, tolerant und mutig zu werden, die ihnen Vielfalt vermitteln.

Würden Sie daran gerne etwas ändern?
Ich persönlich sehr gerne, ich würde mir eine größere Vielfalt wirklich wünschen. Natürlich ist man als Verlag abhängig von den Käufern, aber mein Bedürfnis ist es nicht, mein Programm diesem eher ängstlichen Trend anzupassen. So sehen es aber die meisten Verlage. Es muss beides geben: das, was der Markt sich wünscht, aber ebenso immer wieder die Anstrengung, Alternativen anzubieten, etwas Neues zu wagen. Diese Mischkalkulation betreiben wir andauernd.

Was bedeutet das beispielsweise für eine Autorin, die gerade daran arbeitet, ihr erstes Jugendbuch fertigzustellen? Haben neue Autoren in dem Bereich vielleicht noch mehr Chancen als in anderen?
Gute Geschichten werden immer gebraucht, und natürlich werden auch immer wieder neue Autoren gesucht. Das gilt eigentlich für alle Lesergruppen gleichermaßen.

Wenn das Manuskript dann fertig ist: Was ist Ihrer Erfahrung nach der Königsweg, um einen Verlag dafür zu begeistern? Haben unverlangt eingesendete Manuskripte überhaupt Aussicht auf Erfolg?
Alle Manuskripte, die wir bekommen, sehen wir uns an. Und es kommt durchaus vor, dass aus dem Stapel der täglich eingesendeten Manuskripte das eine hervorsticht. Aber man muss ehrlich sagen, dass die Masse der sogenannten „unverlangt eingesandten Manuskripte“ weniger brauchbar ist. Daher besteht schon die Gefahr, dass eine wirkliche Perle in diesem Haufen einfach übersehen wird. Deshalb ist der Weg über eine Agentur vermutlich der bessere. Wenn wir ein Manuskript über eine Agentur angeboten bekommen, wissen wir, dass man dort schon eine Vorauswahl getroffen hat. Oft haben die Agenturen schon ein Vorlektorat gemacht und wissen außerdem, welche Verlage für das Werk in Frage kommen. Denn auch das ist ein wichtiger Punkt. Manchmal lese ich ein Manuskript, das mir sehr gut gefällt, kann es aber trotzdem nicht veröffentlichen, weil es einfach nicht zu unserem Programm passt.

Was mache ich unter diesen Umständen als Jungautor, wenn mein Agent für das Manuskript keine Chance sieht oder nach einigen Versuchen aufgibt? Versuche ich es dann alleine weiter?
Aber ja, warum nicht? Aufgeben darf man nie, sonst wären wunderbare Bücher wie „Harry Potter“ zum Beispiel niemals erschienen. Allerdings kann man nicht erwarten, als völlig unbekannter Autor mit den ersten zehn Seiten des unfertigen Erstlings einen Vertrag angeboten zu bekommen. Das erste Buch muss man wirklich zu Ende schreiben, um dem Verlag zu zeigen, dass man es kann. Ein Autor sollte außerdem die Bereitschaft haben, mit dem Verlag an seinem Manuskript zu arbeiten. Auch bei sehr renommierten Autoren ist es selten so, dass sie ein Manuskript abgeben, das ohne jede Änderung gedruckt wird. Für unerfahrene Autoren ist das manchmal sehr schwer, sie hängen an jedem Wort. Aber ein guter Autor muss immer bereit sein, gemeinsam mit dem Lektor das Beste aus seinem Werk herauszuholen, auch wenn es noch einmal viel Arbeit bedeutet.

Verspielen Nachwuchsautoren, die ihr erstes Werk unfertig an einen Verlag senden und eine Absage erhalten, denn die Chance, später mit dem fertigen Manuskript zu überzeugen?
Wenn sich das fertige Manuskript deutlich von der ersten Fassung unterscheidet, weil man es gründlich überarbeitet hat, kann man es ganz sicher noch einmal versuchen, warum nicht?

Wie viele neue Autoren schaffen es in der Regel in Ihr Programm?
Wir bringen bei rotfuchs etwa 30 Bücher im Jahr heraus. Im Vergleich zu anderen Verlagen ist das eine relativ überschaubare Anzahl, aber wir haben trotzdem ein bis zwei Mal im Jahr eine ganz neue Stimme dabei. Für unser kleines Programm ist das eine Menge.

Im Kinder- und Jugendbuch wachsen Ihre Leser schnell aus der Zielgruppe heraus. Wie groß ist Ihr Interesse, trotzdem eine langfristige Partnerschaft mit den Autoren aufzubauen?
Das ist natürlich ein wichtiger Punkt, im Kinder- und Jugendbuch müssen wir tatsächlich immer wieder neue Leser finden. Die Leser sind treu, aber irgendwann sind sie natürlich zu alt für die Stoffe. Glücklicherweise kommen auch immer neue Leser nach. Deshalb werden wir einen Autor sicher nicht ziehen lassen, nur weil dessen erste Leser der Zielgruppe entwachsen. Im Gegenteil, Verlage stecken sehr viel Mühe in den Aufbau von Autoren, denn wenn es gelingt, sie durchzusetzen, sind gerade die Käufer im Kinder- und Jugendbuch, also Eltern und Großeltern, besonders dankbar und treu.

Gibt es eine Geschichte, die Sie persönlich gerne einmal erzählt wissen würden?
Ganz speziell? Nein, die gibt es nicht. Ich möchte gute Geschichten, und zwar nicht solche, die geschrieben wurden, weil das Thema vielleicht gerade angesagt ist, sondern solche, die aus der Autorin oder dem Autor selbst kommen, weil sie oder er genau diese Geschichte schreiben muss und dafür brennt. Unabhängig von allen Trends. Das können ganz verschiedene, überraschende Stoffe sein.